Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1953

—OZ& UND DER GRANDE DR. HANS NUCHTERN Der Maler trat prüfend von der Staffelei zurück, verglich Wirklichkeit und Modell. Die Zärtlichkeit des Frauenleibes hob sich hüllenlos im weichen Licht. Die Frau schien zu schlafen oder reglos zu ruhen. Goya zog prüfend die Brauen zusammen, preßte das Kinn gegen den kurzen Körper, nickte befriedigt und begann wieder zu malen. „Maja, sagte er leise in die Leere des Raumes, „Maja!“. Die Frau antwortete durch ein halbes Lächeln. Es klopfte leise, ein zweitesmal, das drittemal laut und energisch! Die Frau fuhr entsetzt empor, verhüllte sich in sinnloser Angst mit der Mantille. „Um Gottes willen, was ist das?“ hauchte sie. Der Maler legte warnend die Finger an die Lippen, ging zur Tür. „Wer ist da?“ Goyas Stimme grellte. Worte, der bebenden Frau unverständlich, waren die Antwort. Der Maler furchte kurz die Stirn. „Ich bin aber in Arbeit, sehr beschäftigt.“ Dann schnellte er wie ein Panther an die Frau heran. „Es ist der Herzog von Lerma, er will mich durchaus besuchen, du mußt gehen; durch das zweite Zimmer und die rückwärtige versteckte Tür hinter dem Gobelin. Komm morgen wieder!“ Sie raffte die Kleider zusammen, entfloh lautlos. Der Maler öffnete umständlich die Tür. Der Herzog von Lerma trat lächelnd ein. „Früh bei der Arbeit? Ich wollte Euch schon längst besuchen. Heut' war kein Hofdienst! Er hob die Lorgnette zu den Bildern. „Ihr wart sehr fleißig in der letzten Zeit, Goya! Der König ist entzückt von Euren Werken. Ich habe hoffentlich 154 nicht sehr gestörr: Er legte ihm heiter die Hand auf die Schulter. Der Maler zog den Kopf in den massigen Hals. „Wenn ich arbeite, stört mich alles, was nicht Arbeit ist“, sagte er brutal; dann mit einem Versuch, die Härte des Aus¬ drucks gutzumachen, „aber ich freue mich, daß Eure Hoheit mir die Ehre Ihres Besuches und das Interesse an meiner Arbeit schenken.“ Lerma lachte amüsiert. „Ihr seid manchmal wie ein Stier, Goya, geht jeden an, der Euch in den Weg tritt.“ Er betrachtete den Maler, der sich hastig an der Staffelei beschäftigte. „Ihr dürft nicht beleidigt sein, auch Jupiter hüllte sich in Stiergestalt. Man sagt ihm und Euch in dieser Richtung manches nach!" Er lorgnettierte wieder ein Bild. Goya knurrte. „Ich wäre dankbar, wenn meine Mitmenschen nicht immer in meinem Leben mutmaßen wollten, ohne den Mut zu haben, mir deutlich ins Gesicht zu sagen, was sie meinen. Bald bin ich ein Stier, der brünstig ist, dann wieder ein Raubtier, dessen Sprung tödlich und gefährlich! Bald ein großer Maler, dann wieder ein niederer Stümper, weil ich auch das Häßliche 4 male. Wißt Ihr mir kein Heilmittel, gnädiger Herr:" Der Herzog von Lerma betrachtete noch immer den Kopf an der Wand. „Wenn sich die Welt so viel um Euch kümmert, Goya, so kümmert Euch auch ein wenig um sie“ sagte er leicht. „Das wäre vielleicht ein Rat, der helfen könnte! Warum lebt Ihr so, ohne die Welt zu achten? Das ist nicht gut.“ Der Maler gab keine Antwort. Der Herzog trat zurück. „Ich betrachte dieses Bild schon die ganze Zeit. Der verzerrte Kopf eines lüsternen Fauns, dem doch die Kraft fehlt; Goya, ist das nicht irgendwie ein Konterfei unseres alten Ministers? Süperb, aber es könnte die Wespen reizen, wenn man Euch draufkommt.“ 74

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