Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1953

Land gewonnen, Land der Feinde, und allen Wein darin, nach dem sie un¬ mäßig lange hatten dursten müssen, Fleisch und Früchte, Brot und Seide, ja, und auch die Mädchen von Friaul. Die Mädchen freilich, sie waren vor dem Krieg geflohen, aber der Wein war geblieben, der Ueberfluß und das Recht der Sieger. Roch nicht die Regenluft nach verschüttetem Wein? Gingen nicht alle Träume, die sie je auf den eisigen, nächtlichen Gipfeln geträumt hatten, neben ihnen her und rauschten in dem Laube um ihr Haupt? Es waren die Träume von Eroberern und wilden Beutemachern, und der Fähnrich Seraphim sah wohl in die Herzen seiner Soldaten. Er führte sie durch das Tor eines großen, stillen Hauses mit eisernen Fensterkörben, in einen hohen Flur; aus dem Steinboden kam eine herbstliche Kühle, es war die Zeit nahe vor dem Keltern der Trauben und dem Einholen der Maiskolben; auch durch das ver¬ lassene Haus, in dem die Soldaten wohnen sollten, ging ein süßer Hauch dieser Erntezeit. „Lasset es euch gut geschehen!“ sagte der Fähnrich zu seinen Leuten, „aber denket daran, der Feind ist nicht weit von Timau.“ Und als müßte der Krieg seiner Mahnung zu Hilfe kommen, knatterte der Hall von Schüssen in den dunklen Flur herein, in den die Straße ein geringes Licht sandte. „Wir müssen morgen weiter“, sagte der Fähnrich noch, im stillen aber glaubte er, daß sie einige Zeit in Timau verweilen würden, wie sollten sie, da sie zwischen Häusern, unter einem Dach, in einem schwach erleuchteten Flur eben Menschen geworden waren, wieder hinaus in den ungewissen Krieg, in die unwirtliche Natur. Trotzdem aber drohte er: „Wer betrunken ist, den lasse ich zurück. Und ich melde ihn als Deserteur in Timau. Abtreten!“ Der Fähnkich ging, ein Zimmer zu suchen, in dem er die Nacht ver¬ bringen konnte, er leuchtete mit seiner Taschenlampe durch einige Türen, sein einsamer Schritt klang auf dem Steinboden, hallte unter Gewölben, das Licht fiel auf altertümliche Türschlösser, sie waren alle unversperrt, er glomm Bilder an den Wänden an, einen Mann mit einem riesigen Schnurrbart, das mochte König Humbert sein, und einen anderen im Soldatenkleid, wahrscheinlich war es König Viktor Emanuel; das armselige Licht verwandelte die Köpfe der Könige zu fremden Masken, die Lampe war nun bald ausgebrannt, und ihr Schein machte nur die Dunkelheit noch dunkler. In einem Zimmer schlug eine Uhr einige dünne metallische Laute, nach ihr mußte es jetzt Nachmittag sein, oh, auch Uhren waren in diesen Tagen, da die Soldaten aus dem Gebirge herabkamen, verrückt geworden. Es war nicht Nachmittag, es war Abend, und der Fähnrich spürte in der Finsternis nun mit einemmal die schweren Lider, er spürte nicht Hunger, nicht Durst, nur einen Schlaf, der plötzlich wie Blei an ihm hing. Seine Beute in Timau würde nicht Wein oder ein friaulisches Mahl sein und nicht irgendein kleines, kostbares Gut, das auch ein Offizier aus Feindesland leicht mit sich nehmen durfte, seine Beute war ein Bett, das erste Bett nach ungezählten Nächten, die man auf Kriegslagern verbracht hatte; ja, und ein Glas roten Friauler Weines als Schlaftrunk. Es trieb ihn, da er den Wein zu finden sich anschickte, auch die Begier, zu erkunden, wo sich die Mann¬ chaft an die Fässer hing, wie an volle Euter. Aber das große Haus, bürger¬ licher Palazzo eines friaulischen Herrn, war leer und still, die Soldaten hatten es, als sie Tornister und Gewehre weggelegt hatten, wieder verlassen, war es ihnen zu gespenstisch, zu dunkel, oder wollten sie auf ihrem wilden Fischzug, zu dem ihnen der Abend freigegeben war, an belebterem Orte ihre Netze aus¬ werfen? So war das Haus des Fähnrichs allein, noch war das Heer, das später auch die Stadt Timau anfüllen sollte, auf vielen Straßen aus den Bergen unterwegs, und Seraphim auf dem Wege zu einem Lager und einem Trunke, ging hinter seinem absterbenden Lichte durch Zimmer, über Gänge und Stie¬ gen, und er kam zuletzt auch in den Keller. Hier aber, wo sich an riesigen Fässern, deren manche von eines Meisters Hand geschnitzt waren, als hätten 70

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