pir □tacht irinau JOSEF FRIEDRICH PERKONIG Das war im Herbst des Jahres 1917, die Soldaten kamen von den Kar¬ nischen Bergen herab in das Land Friaul, es dunsteten die Weingärten, und aus den Maisfeldern stieg es wie stiller Rauch, noch war die friaulische Erde warm, wenn sie auch ein kühler Regen des späten September näßte, aber die Männer, die aus dem Gebirge niedergebraust kamen, sie brachten Schnee¬ luft in ihren zerschlissenen und gebleichten Mänteln mit, es umwehte sie der Todesatem der Schluchten, in denen ihre Brüder bestattet lagen, auf dem un¬ erreichbaren Grunde tiefer Schluchten, und ihr Gesicht war dem hellen Himmel zugekehrt. Aber jetzt sah man es den Männern und Jünglingen nicht an, daß jeder von ihnen einen Bruder im Grabe zurückgelassen hatte, sie drehten sich auf den Straßen nicht mehr um, daß sie vielleicht noch einmal die schneeigen Gipfel, die verwaisten Almen sehen könnten, auf denen sie eine Ewigkeit lang gelebt hatten, sie blickten unverwandt nach vorne in das Land Friaul hinein war es nicht das Land ihrer Sehnsucht gewesen, da sie auf den Bergen ver¬ harren mußten, hatte nicht der Südwind die Düfte der friaulischen Weinhügel zu ihnen gebracht? Jahrelang sahen sie sich in den kleinen Städten gehen und hörten ihre Stimmen unter Laubengängen widerhallen, in der eisigen Winter¬ nacht genossen sie den Ueberfluß des Sommers, und in dem Donner der La¬ wine klang der Ton von schweren Weinfässern mit, die man unten in Friaul über gepflasterte Höfe rollte. Nun waren sie wirklich in Friaul, wie sie es sich erträumt hatten, und sie rafften an den Straßen grünes Laub von Maulbeer¬ bäumen und Weinstöcken, umwanden damit ihre Kappen und marschierten, seltsam bekränzt, durch stille Dörfer, die ausgestorben zu sein schienen; längst waren ihnen die bäuerlichen Leute entwandert, die letzten waren mit den italienischen Soldaten fortgezogen, und auch in der Stadt Timau waren nur wenige Menschen verblieben, tapfere und stumpfe Greise, eine Schar alter Frauen, deren einige eben aus der Kirche traten, als der Fähnrich Seraphim mit seinen bekränzten Soldaten daran vorüberging, um ein Quartier zu suchen. Die Greisinnen, schwarze Seidentücher um die Schultern, warfen keinen Blick nach den feindlichen Gästen, sie antworteten auch nicht mit einem Laut, als der Fähnrich ihnen durch den Korporal Moro sagen ließ, ihr Haus, ihr Leben seien geschützt, sie gingen schwarz und stumm in den Abend davon, wie die kleine friaulische Stadt Timau selbst, in der schon andere Truppen lagen, Ruthenen und Bosniaken, irgendwo zwischen den Häusern stieg ein fremder Gesang hoch. eine ferne Trompete blies das Signal „Vergatterung“ immer wieder denselben Befehl, als gehorchten ihm diejenigen, denen es galt, zu widerwillig und langsam. Zwei Soldaten mit rotem Fez kamen quer über den Platz und schleppten behutsam ein kleines gläsernes Faß; sein Inhalt konnte ebensogut gelber Wein wie gelbes Gift sein, und die zwei Bosniaken kamen entweder aus der Apotheke oder aus der Trattoria, die drüben neben¬ einander lagen. Da sah der Fähnrich Seraphim wohl das wilde Leuchten in den Augen seiner Leute, lange waren sie gezähmt gewesen von dem Berg, von dem Krieg, aber nun waren sie die Herren von Friaul, sie hatten das 69
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