Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1953

66 Namen und Bedeutung verloren in den erstorbenen Sinnen. Heller, deutlicher zeichneten sich die Dinge im wachsenden Licht. Da wuchs aus der kalten Leere des Einsamen ein Verlangen nach Wärme und Fülle, er empfand, wie es ihn durchdrang, wie es von ihm Besitz ergriff wie alles in ihm nichts war als ein Sehnsuchtsruf nach der verlorenen Weihe und Ewigkeit. Der Einsame fühlte, wie dieser Ruf in seiner Seele schwoll, wie er rang gegen die Fessel der Stummheit. Georg von Nissen ertrug es nicht mehr, er mußte diese Sehnsucht laut Morgen. Der erste Sonnenglanz hinausrufen in den immer reicher wachsenden Gold, in schneeiger Helle. Georg von lag auf dem Instrument, in warmen Nissen rührte die Tasten. Ein zaghafter Klang, eine tastende Frage der Furcht: Bin ich noch wert, sie zu berühren? Muß ich nicht zurücksinken in meine Stummheit? Aber der Klang war schön, denn Sehnsucht bebte in ihr. Und sie wuchs zum vertrauenden Flehen, starker Bitte, zur alles überwindenden Kraft des Verlangens nach dem Verlorenen. Bis er wiederkehrte. Wenn Georg von Nissen an diese größte Stunde seines Lebens zurück¬ dachte, war es kein Erinnern an ein irdisch begrenztes Bild. Nicht in Miene und Gestalt erschien ihm der heiß Gerufene, vielleicht war er nichts als ein Sonnenglanz, ein Vogellaut oder ein Wehen des Morgenwindes. Und doch war der Ewige ihm nie so nahe gewesen, und doch hörte er seine Stimme deutlicher und klarer, als je eine irdische. Aber es waren keine irdischen Worte, die Georg von Nissen vernahm, es war vielleicht nur ein Klang, ein Akkord, eine Melodie, Antwort und Widerklang der klingenden Sehnsuchtsbitte des Leben¬ den, nur viel schöner, süßer und himmlischer noch. Der Tag war erwacht. Georg von Nissens Hände ruhten. In ihm war eine große, beglückende Stille. Er schritt von Ding zu Ding und berührte es ehrfürchtig, denn aus dem Unscheinbarsten floß die Gewißheit der wiederkeh¬ renden, dauernden Weihe. Und als Frau Constanze den Raum betrat, ganz erfüllt vom unbeschwer¬ ten Glück der Erde, da umfing er sie mit derselben sicheren Ehrfucht, als einen Teil des Vermächtnisses, darauf untilgbar ein Abglanz der Ewigkeit lag. # A

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