der damaligen österreichischen Seemannsjugend. Dem Ernst des Falles fehlte es nicht an der nötigen äußeren Tragik; man nahm mir den schönen Marine¬ säbel ab, man entfernte mir die kleine, goldgestickte Krone von der Kappe und sandte mich so in Begleitung eines Unteroffiziers, der mich nicht aus den Augen ließ, mit der Eisenbahn nach Görz, wo mein alter Vater damals im Ruhestand lebte. Das Bild steht noch vor mir: der einsame, nächtliche Bahnhof, mein Vater auf dem Steig als der einzig Wartende, der peinlich beauftragte Unteroffizier, der eine Quittung vorweist und Bestätigung verlangt, daß der Vater seinen unbrauchbaren Sohn auch richtig empfangen habe, und schlie߬ lich ich selbst, der ich mein Urteil gar nicht erst abwartete, sondern dem Vater hastig in die Rede fiel: „Du darfst nicht glauben, lieber Vater, daß ich dir aufs neue zur Last falle, ich melde mich morgen als Gemeiner ins neunte Feld¬ jägerbataillon! „Das wird wohl auch das richtige sein, mein Sohn“, gab der Vater ge¬ assen zur Antwort. Und dann schritten wir schweigend durch die nächtlichen Straßen unserem Hause zu. Am nächsten Morgen schrieb ich ein Gesuch nach Graz um Aufnahme ins neunte Feldjägerbataillon. Ich war nun siebzehn Jahre alt, ich konnte über mich verfügen und war fast ein wenig stolz darauf. Im übrigen wußte ich, was mir bevorstand: das dürftige Kommißbrotdasein des einfachen Soldaten, mein Tischleindeckdich die zinnerne Eßschale, mein Ruhebett der Strohsack, mein Pa¬ last die Kaserne, bis ich es nach Jahren im besten Falle zum Feldwebel, wie die höchste Unteroffizierscharge bei den Jägern hieß, zum Oberjäger bringen konnte. Ich war für das, was man damals, wohl etwas gläubiger als heute, die „Gesellschaft“ nannte, so gut wie verloren. Aber mein Gemüt erfüllte seltsame Heiterkeit, aus Dürftigkeit und Armut stiegen unvergängliche Lebens¬ werte, wieder schien Sonne, wehte der Wind, kam das Morgenrot und der treue Schlaf, es ging darum, ein Mensch zu sein, wer konnte mir das nehmen? Es kam auch diesmal anders als ich dachte, denn am Tage, da der Be¬ scheid vom Bataillonskommando eintraf, ich möchte mich in Graz zur Assen¬ tierung melden, am selben Tage fragte mich mein Vater: „Willst du es nicht nochmals mit dem Studium versuchen, Junge?“ Und wieder hatte ich mich umzuschalten im Zeitraum von wenigen Augen¬ blicken. Ich nahm wieder Abschied von der so schön geträumten Idylle mit dem einfachen Soldaten und beschloß, in die höhere Schichte wieder empor¬ zusteigen, und zwar auf dem Wege der Infanterie=Kadettenschule. Und wieder sprach ich zu meinem Vater: „Wenn du es für gut hältst, so wollen wir es nochmals versuchen. Diese abermalige Wandlung hatte immerhin das Gute, daß ich von nun ab Vorzugsschüler wurde. Ich hatte mir vorgenommen, niemals nur eine ein¬ zige Frage unbeantwortet zu lassen. Ein seltsamer Ehrgeiz war in mir erwacht, der mit simpler Eitelkeit wenig zu tun hatte. Es mochte vielmehr der Drang ein, um des inneren Gleichgewichtes willen die Stellung auszufüllen, zu der das Schicksal mich nun einmal bestimmt hatte. Etwas von jener Verbrüderung, die sich damals mit dem Fabriksarbeiter, mit dem einfachen Soldaten in mir vollzogen hatte, blieb aber zeitlebens in mir zurück. Es schien mir immer wie ein Zufall, wie eine Laune des Schicksals, daß ich später als Offizier vor der Front stand, mit den goldenen Sternen am Kragen, mit dem Säbel in der Hand. Jene hundert mir Ausgelieferten in Reih und Glied, die ein Wort von mir maschinenmäßig in Bewegung setzte, ich fühlte sie mir so nahe verwandt, daß mir durchaus nebensächlich schien, was uns im Außeren etwa trennen mochte. Hingegen dünkte mich durchaus wesentlich, was uns im Innern verband: Sonne schien, es wehte der Wind, wir stampften stark und gewißlich die Erde, es umschloß uns die gleiche Le¬ bendigkeit. 60
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