Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1953

der Vater im Auftrag der Kriegsmarine seine Meßinstrumente und Mikro¬ skope bezog. Der Chef empfing uns etwas verwundert, aber durchaus liebens¬ würdig. Er hatte gegen meine Aufnahme im Grunde nichts einzuwenden. Er führte uns von Saal zu Saal, Räder surrten, Hämmer pochten, Feilen kreisch¬ ten, ich empfand: Das wird nun deine Welt! Und sofort begann ich in mich aufzunehmen, was etwa tröstlich und der Phantasie ersprießlich daran sein mochte. In der Ecke sah ich eine Drehbank, Sonne fiel herein, ein Baum stand vor dem Fenster, ein Vogel sprang von Ast zu Ast, was wollte ich mehr? Ich lebte mein neues Leben wie im Traum voraus, sah mich tagsüber in der Werk¬ statt, mit den blitzenden Instrumenten beschäftigt; kam dann Feierabend, so war die Welt ganz ohne Ende mein, es war ein Leuchten in allen Gassen, befreites Atmen aller Kreaturen, Gesang und Mädchenlachen, sollten da, bei Gott, nicht schöne, neue Lieder entstehen können? Und war damit das We¬ sentliche nicht besorgt? Dem Vater mochte mein inneres Gleichgewicht zu denken geben, doch ließ er sich nichts merken: Es hatte ihm vielleicht vor schweren Stunden eines trü¬ ben, peinvollen Abschiedes mit dem verlorenen Sohne gebangt. Nun wurde er selber frohgemut, er führte mich durch die hallenden Handelsstraßen und die Riva entlang, wo die mächtigen überseeischen Dampfer mit Getöse ein= oder ausgeladen wurden. Und schließlich landeten wir in einer Osteria am Canale, wo wir gebackene Fische aßen und Wein aus kleinen, farbigen Krügen tranken auf denen, ich weiß es heute noch, wie zur Ermunterung „Bevi Pepi!“, „Bevi Toni!“ geschrieben stand. Wir tranken. Und dann, es war unterdessen schon Abend geworden, nahm mich der Vater auf die große Mole mit, die als Wellenbrecher den inneren Teil des Hafens im weiten Bogen umfaßt. Wir standen inzwischen der malerisch die Hügel ansteigenden Stadt und des weiten, anrollenden Meeres. Erhabenheit der Natur, Lebendigkeit hastenden Menschen¬ tums vereinten sich zu einem abendsonnigen Weltbild, das uns völlig gefangen¬ nahm. Und es kam nun ein Augenblick, da der Vater neben mir stehen blieb und aufatmend sagte: „Wie reich und schön ist doch die Welt! Junge, willst du es nicht nochmals mit dem Studium versuchen?“ Ich besaß zu Hause ein physikalisches Spielzeug, genannt der kartesianische Taucher. Ein Männchen aus Glas steigt im Wasser nieder und taucht auch wieder empor, je nachdem man oben auf das Gummihäutchen des Verschlusses drückt oder im Druck wieder nachläßt. Der Vergleich meines damaligen Zustan¬ des mit dem seltsamen Spielzeug befiel mich in jenem Augenblick. Ich war dem Willen des Vaters zufolge untergetaucht in die tiefere soziale Schicht, nun sollte ich im Augenblick wieder empor. Ich wußte vorerst vor Ueberraschung nichts zu sagen und empfand die Loslösung von meiner neuen, inneren Weit fast mit Unbehagen. Dann aber ward ich beschämt und gerührt der Güte des Vaters inne. Am liebsten wäre ich ihm um den Hals gefallen, aber das schien ich nicht zu schicken zwischen Männern, wie wir es waren. Und so vermochte ich nur zu sagen: „Wenn du es für gut hältst, lieber Vater, so wollen wir es nochmals versuchen! Und so fuhren wir noch am selben Abend durchaus frohen Gemütes mit dem Schnellzug wieder nach Pola heim. Das Erlebnis jener Schicksalsfahrt, die als Vergnügungsfahrt endete, blieb aber doch nicht ohne Wirkung auf mich. Ich saß von nun ab eifriger vor den Schulbüchern, die Nichtgenügend verschwan¬ den aus dem Zeugnis, und schließlich erlangte ich die Reife zum Eintritt in die Marineakademie. Drei Jahre später aber wiederholte sich das gleiche, mein Vater und sein ungeratener Sohn, sie konnten nicht zur Ruhe kommen. Im dritten Jahrgange der Marineakademie war es, daß ich auf Befehl des Marineministeriums aus der Anstalt ausgeschlossen wurde, aus Gründen, die ich andernorts erzählen will, denn sie geben uns kein übles Bild vom Geist 59

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