Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1953

und nachher Predigt und Litanei; dabei wurden die Tagediebe alle zahm und weich wie Wachs. Holz und Steine brauchte der Heilige, weil er eine Kirche bauen wollte, ein Kloster für seine ganze Jüngerschaft. Es war ja auf die Dauer unwürdig und der Seele nicht heilsam, daß sie alle nachts noch immer wie das Wild¬ brett unter die Sträucher kriechen mußten. Tagaus, tagein lief Leonhard auf dem Bauplatz hin und her, mit seinen Fingern im Bart. Er dachte nach und rechnete und maß, und die Mauern schossen wunderbar in die Höhe, weit über den Wald hinaus. Es währte gar nicht lange, da war alles richtig unter Dach; die fromme Räuberbande hatte selber ihre Freude daran. Jeder lag in seiner sauberen Zelle auf dem Stroh¬ sack, gar nicht zu reden von der Kirche. Die war auf das prächtigste ausge¬ stattet, versteht sich, mit silbernen Leuchtern und gewirkten Teppichen und allem, was dazu gehört. Der Heilige in seiner Unschuld dachte nichts weiter dabei. Es fiel ihm nicht ein, daß unter den Brüdern eben mancher war, der sich noch immer auf sein altes Handwerk verstand, wenn auch nunmehr zur Ehre des Herrn. Nur eine Glocke fehlte noch, und auch die würde Gott bei Gelegenheit schicken, meinte der harmlose Leonhard. Aber sie fehlte wohl nur weil so ein Ding mächtig schwer war und nicht so leicht im Kuttenärmel zu verstecken. Ja, schon recht. Allein, der böse Feind ging um und wollte keinen Frieden, der Ohrenbläser. Er drang bis zum König und flüsterte ihm allerlei zu. Ob er denn gar nichts merkte, was drüben im Walde vorginge? Daß man ihm dort eine feste Burg vor die Nase setzte und Kriegsleute sammelte? Und daß es ihm wahrscheinlich an Thron und Leben gehen sollte? „Was, Teufel!“ sagte der König, stieg zuoberst auf sein Schloß und sah wirklich Dach und Turm über den Wald emporragen. Das ging den König hart an. Kein Verlaß auf die Leute, dachte er, nicht einmal auf einen Heiligen! Und dann ließ er Sturm blasen. Zur gleichen Zeit aber ritt die Frau Königin mit ihrem Schimmel aus. Sie war hochschwanger und wollte noch einmal Luft schöpfen, ehe ihre Stunde kam. Nun weiß man nicht genau, wie es geschah, ging ihr der Schimme durch oder hatte sie ihre Sinne nicht mehr ganz beisammen, jedenfalls verirrte sie sich im Walde und wußte nicht aus und ein. Als sie die Brüder endlich fanden, lag sie auf dem Moos und schrie schon in den ersten Wehen. Das war nun eine heillose Sache, wie sich denken läßt. Die Brüder stan¬ den herum und kratzten sich die Stoppelbärte; schließlich meinte einer, man müsse die hohe Frau zu Leonhard in die Zelle tragen. Aber das half auch nicht viel, sie klagte laut und jämmerlich, daß sie stürbe, wenn man ihr keine Hebamme brächte. Und dergleichen gab es weit herum nicht. Es war zufällig auch kein Bader unter den Mönchen, obwohl sonst selten einer fehlt, wo sich ein paar Gaudiebe zusammenfinden. Und der Heilige selbst wußte keinen Rat“, erzählte der alte Knecht. „Natür¬ lich“, meinte er, „auf eine Roßkur verstand sich Leonhard, aber bei einer Königin, wie sage ich gleich —ach, du begreifst es doch nicht. Zuletzt warf sich der Heilige wieder einmal auf die Knie und bat den Herrn und die Jungfrau um eine glückliche Geburt für die Königin. Es war ja bisher nicht sein Amt gewesen, kreißenden Frauen zu helfen, aber Gott erhörte ihn doch sogleich und schenkte ihm auch noch diese Gabe dazu. Je lauter der Heilige schrie, um so stiller wurde es in der Kammer, und plötzlich ging die Tür auf, und die Frau Königin trat herein, heil und gesund, mit ihrem neugeborenen Knaben an der Brust. 54

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