Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1953

ahnen konnte. Denn der Heilige hatte ohne Lohn geholfen, aus reiner Gut¬ mütigkeit. Leonhard verzieh mir vollkommen, er sah gleichsam über mich weg, wenn ich in der nächsten Zeit bei ihm vorüberschlich. Eine Weile wartete ich noch auf das Bauchgrimmen, das ich ihm zur Sühne angeboten hatte; aber selbst darauf verzichtete er, und so ist mein Frevel bis zum heutigen Tag ungestraft geblieben. Oh, ich hatte meine Gründe, anders über Sankt Leonhard zu denken als die naseweise Marianne. Für mich war seine reglose Gestalt wunderträchtig, von geheimnisvollem Leben erfüllt. Es verschlug gar nichts, wenn er wirklich nur aus totem Holz geschnitzt war, wie das Mädchen behauptete. Konnte totes Holz schmunzeln oder scharf in die Tiefe schauen wie er? Leonhard trug eine schwere, drei Ellen lange Eisenkette auf der vorgestreckten Hand. Wer konnte sagen, ob es ihm nicht insgeheim unsagbare Mühe machte, sie immerfort so ruhig zu halten? Ob er den Arm nicht doch zuzeiten sinken ließ, nachts, wenn niemand um die Wege war? Vielleicht zog er manchmal auch den einen Schuh zurück und vertrat sich die Füße ein wenig, oder er stieg überhaupt herunter, um sich für eine Weile in sein rotverglastes Fensterchen zu lehnen. Ich wäre ums Leben nicht im Dunkeln an der Nische vorbeigegangen, aus Angst, ihn einmal so zu überraschen. Marianne wiederum hatte ihre heimliche Lust daran, unziemliche Händel zwischen mir und dem Heiligen zu stiften. Grausam, wie auch ganz kleine Mädchen mitunter schon sind, befahl sie mir manchmal plötzlich beim Spiel, zur Kapelle zu gehen und die eisernen Kühe auszuleihen. Leonhard hatte nämlich eine Menge Hausrat um sich her angesammelt, er war auf seine Art wohlhabend. Da hingen an der Wand unzählige Huf¬ eisen in Reihen und Figuren geordnet, manche mit Namen und Jahrtag, ge¬ drehte Halsringe dazwischen und lange Ketten, deren eine dreimal unter dem Dachstuhl hin und wider lief. Das letzte Glied war in Kreuzform auseinandergetrieben. „Sankt Leon¬ hard, gib Fried!“ stand darauf eingegraben. Es ging die Sage, eine junge Bäuerin hätte sich in Kindsnöten verlobt, für jedes Jahr, das ihr noch ge¬ schenkt würde, ein Kettenglied zu stiften. Und der Heilige machte sich auch wirklich den Spaß und verhalf der Frau zu einem biblischen Alter. An die iebzig Glieder konnte man zählen, was Wunder, daß sie es schließlich satt bekam! Um die Füße des Heiligen aber wimmelte es von vielerlei sonderbarem Getier, alles mit grober. Hand aus Eisen geschmiedet. Pferdchen gab es da, ungeschlachte Rösser auf steifen Beinen, manche mit einem Reiter auf dem Rücken, der wie eine zwieschwänzige Rübe aussah. Plattgehämmerte Kröten, von den Wöchnerinnen gestiftet, und vor allem Kühe. Die hatte der Schmied besonders schön gemacht, mit eingesetztem Euter und langen, spitzen Hörnern. Diese Kühe taugten freilich viel besser für unsere Rinderställe auf dem Hügel als gewöhnliche Fichtenzapfen und Holzklötze. Wollte ich mich nun nicht gerade widersetzen, was schwer möglich war, weil Marianne dann sogleich mit verächtlich aufgeworfener Nase zu den mußte ich also den Raub wagen, so versah ich mich Nachbarbuben lief, — immer zunächst mit einer Handvoll Blumen. Die hielt ich dann dem Heiligen vor die Augen, damit er nicht gleich merkte, wenn ich ihm unterhalb seine Kühe wegnahm. Konnte man wissen, ob es ihm nicht einfiel, einmal schnell den Fuß daraufzusetzen? Aber das tat er nie. Er war überhaupt unendlich geduldig und ganz ge¬ wiß ein seelenguter Mann. Ich weiß nicht, warum ich damals nur mit einem Herzen voll Bangigkeit vor ihn treten konnte. Es mochte an der rätselhaften Gewalt seines Blickes liegen; er traf mich und ging zugleich ins Ferne, wenn ich barbeiniger Zwerg zu seinen Füßen stand, und er beugte das Haupt über 51

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