Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1953

wenn wir drüben auf dem Hügel einander in den Haaren lagen, nein. Er sah nur aufmerksam zu, ein wenig vornübergebeugt, das Kinn in den Bart ge¬ drückt, friedfertig und dennoch ein bißchen unheimlich. Ich erinnere mich heute noch gut des Gefühls von Beklommenheit und Scheu, das mich immer ankam, wenn ich im Vorbeistreifen unversehens seinem Blick begegnete. Marianne freilich war weniger ängstlich, die ging ohne jedes Bedenken bei Leonhard ein und aus, und das aus Erfahrenheit, nicht aus bloßem Un¬ verstand wie der kleine Anton. Sie hatte ja an der Hand der Mutter täglich mit Dingen zu tun, die noch um vieles heiliger waren als ein gewöhnlicher Nothelfer. Marianne putzte die Meßgeräte in der Sakristei blank und lief am Morgen vor der Messe mit dem Staubtuch rund um den Hochaltar, was andere Men¬ schen nur mit vielem Kniebeugen hätten wagen dürfen. Und was vollends unseren Leonhard betraf, der wie jeder andere Straßenheilige in Wind und Wetter seinen Dienst tun mußte, — ihn kannte Marianne von der allermensch¬ lichsten Seite. In jedem Frühjahr nämlich, zur Österzeit, kam die Mesnerin mit einem Kübel Wasser vom Dorf herauf, um den Heiligen zu baden. Und so sehr er sich mit stummer Würde und erhobenen Händen dagegen verwahren mochte, sie hob ihn ohne Umstände vom Sockel, legte ihn auf den Rücken und rieb mit Bürste und Seife die Spinnweben aus den Falten seines Abtgewan¬ des. Marianne aber stand dabei und hielt ihn am Kopfe fest, damit er nicht ins Rollen kam. Das geschah am hellen Tage und vor aller Augen, und wenn der Heilige nachher wieder würdevoll in der Nische stand, mir schien es doch, als ei er ein wenig blässer von Farbe, ein bißchen vergrämt. Nein, ich konnte nicht so ohne alle Ehrfurcht mit Leonhard umgehen wie das Mädchen, ich wußte auch mehr als sie von seiner geheimen Macht. Einmal war ich Zeuge eines unbegreiflichen Wunders, das der Nothelfer wirkte. Nur benahm ich mich leider sehr unwürdig dabei, und das mag auch der Grund sein, warum ich später nie wieder eines erlebte. Damals geschah es nämlich, daß der Gaul des Nachbars plötzlich auf der Streu lag, mit einem gräßlich aufgetriebenen Bauch, von schaumigem Schweiß bedeckt und offensichtlich am Verenden. In der letzten Not nahm mich der — alte Roßknecht beiseite und drückte mir ein Geldstück in die Hand. „Lau zum Krämer!“ sagte er. Ich sollte eilends eine gute Kerze kaufen und sie vor dem heiligen Leonhard in der Nische anzünden. So rannte ich denn davon. Aber der Teufel, der gern in Pferdeställen nistet, der Versucher lief mit mir und blies mir unterwegs einen schändlichen Gedanken ein. Mußte es eigentlich unbedingt eine Kerze sein? dachte ich. War nicht an¬ zunehmen, daß dem Heiligen ein Stück Lebkuchen noch wohlgefälliger in die Nase duftete als ein Wachslicht? Und obendrein ging Lebkuchen nicht unnütz in Rauch und Gestank auf, sondern man konnte ihn später einmal, wenn sich Leonhard längst daran satt geweidet hatte, vielleicht gegen einen Rosenkranz eintauschen oder gegen einen Armvoll Blumen. Gut also, ich erstand wirklich ein großes Lebkuchenherz statt der Kerze und war guten Willens, es für das kranke Roß aufzuopfern. Aber der Weg zog sich immerhin lang genug, daß mich der Teufel noch einmal anfechten konnte. Ich trug das Herz sauber eingewickelt unter dem Arm, und im Laufen drückte ich ein bißchen dagegen, denn der Heilige, dachte ich, würde es wohl als ein Mißgeschick gelten lassen, wenn etwa ein Endchen abbrach und mir zufiel. Indes ich auf halbem Wege einmal nachsah und das Weihgeschenk leider noch wohlgerundet fand, kam mir auch schon in den Sinn, es möchte dem Heiligen vielleicht überhaupt nichts ausmachen, ob er nun ein Herz oder ein Viereck bekam. Gleich fing ich an, rund herum zu nagen, zuerst ins Quadrat, das fiel uneben aus, dann auf ein Dreieck, das machte sich nicht gut, und end¬ 49

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2