KARL HEINRICH WAGGERL prs Roßheilige Die Legende erzählt, der heilige Leonhard sei zu seinen Lebzeiten ein viel¬ vermögender Mann gewesen, hoch angesehen am Hof des Königs der Franken und selbst von fürstlichem Blut. Das kann so sein. Es wird auch überliefert, daß der junge Ritter mit den Jahren sein wüstes Herrenleben satt bekam, das Saufen und Raufen und Bauernschinden. Daß er also zuletzt in die Wäl¬ der floh, um alles Irdische von sich abzutun und ein gottseliger Einsiedler zu werden, was ihm freilich auch nicht vollkommen gelang. Denn ein wahrer und geborener Herr wird seine Sporen so schwer los wie ein armer Teufel die Holzschuhe. Leonhard mußte wider Willen ein Kloster gründen und Abt werden, und als er starb, war er ein mächtiger Mann Gottes und weit be¬ rühmt. So ist uns die Geschichte Leonhards von den Alten überkommen. Aber ich selbst kenne den Heiligen noch anders. In meiner Knabenzeit war er jahre¬ lang unser nächster Nachbar, er wohnte ganz eigentlich mitten unter uns, gleich neben dem Roßstall in einer gemauerten Nische. Der fromme Stifter hatte seinerzeit vielleicht vorgehabt, eine richtige Kapelle zu bauen, als er den Heiligen hier unter der Schirmfichte ansiedelte, ein geräumges Häuschen mit einem Dachstuhl und farbigen Fenstern an der Seite. Aber wahrscheinlich wurde ihm die Sache dann doch zu weitläufig. Wer baute auch gleich eine Kathedrale zum Dank für einen kurierten Gaul? Richtig überlegt, genügt es, wenn nur der Heilige selbst unter Dach kam. Die Gläubigen mochten ebenso¬ gut unter freiem Himmel bleiben, sie waren ohnehin nicht ins Gelübde ge¬ nommen worden. Und so stand denn Leonhard im rötlichen Dämmerlicht seiner halben Ka¬ pelle, stand in sich versunken Jahr und Tag auf dem Sockel und ließ sich nicht anmerken, daß ihn etwas an diesem wunderlichen Gehäuse verdroß. Er hatte freilich auch viel Kurzweil und einen freundlichen Ausblick über den besonnten Anger hin, auf dem wir Kinder unser Wesen trieben. Hinter¬ wärts wölbte sich die Halde zu einem sanften Hügel auf, ein paar krumme Birken standen oben, etliche Büsche Sauerdorn und Wacholder. Gegen den Bach zu aber lag der große Zimmerplatz. Dort arbeitete der Vater mit den anderen Gesellen den langen Sommer hindurch und ging mit dem breiten Beil Schritt für Schritt die Kanthölzer auf und ab. Der Vater litt es gern, wenn wir ihm bei seinem bedächtigen Tagwerk um die Beine krochen und da unser Spielzeug zusammensuchten, Späne und Klötzchen. Manchmal langte er auch selber zu und formte uns ein Wickelkind aus einem Bohrzapfen oder ein Schiffchen aus Rinde; er konnte die wunder¬ barsten Dinge mit ein paar geschickten Griffen seiner langsamen Hände machen. Wir Kinder waren immer zu dritt, ein ganz winziger Knirps namens Anton, Sohn des Wegmachers, der nichts weiter zu bedeuten hatte, dann die Mesnerstochter Marianne, schlau und mager und herrschsüchtig, und endlich ich selber mit einem ängstlichen Drang zum Abenteuer. Aber bei allem, was wir unternahmen, war auch der Heilige mit im Spiel. Nicht daß er sich ge¬ rädezu beteiligte und etwa plötzlich herausgelaufen kam oder dazwischenschrie, 48
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