Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1953

6 DER Detziebsausßlug 7 — Leopold Steimbrecher „Servus! Grüß' Dich, liebe Hilde! Bitte gib mir rasch ein frisches Hemd eine Krawatte. Ich muß sogleich wieder fort; dringende Sitzung; werde und spät nach Hause kommen!“ Mit diesen hastigen Worten begrüßte ich etwas meine Frau kürzlich nach Büroschluß. Mit verdrießlicher Miene besorgte Hilde das Gewünschte. „Nehmen denn die dringenden Sitzungen bei Dir kein Ende?“ „Aber Du weißt doch, liebes Kind, Betriebsausflug, Schlußbesprechung. Was ich Dich noch fragen wollte: Du fährst doch mit?“ „Ich? Nein, ich habe doch nichts anzuziehen!“ „Das ist doch etwas eigenes mit den heutigen Frauen,“ grollte ich. „Keine hat etwas anzuziehen! Wenn sie aber so halb nackt herumlaufen und beinahe nichts anhaben, dann fühlen sie sich gut gekleidet. Richtiger wäre es, wenn sie sagen würden, zum Ausziehen haben sie nichts mehr. Uebrigens, Du hast doch Dein Dirndl so hübsch geändert, es kleidet Dich sehr gut, das kannst Du doch nehmen!“ „Hübsch geändert,“ lachte die Frau bitter, „schon fünf= oder sechsmal. Das Aufputz einmal mit, ein¬ Leibchen wurde aus einer alten Schoß angefertigt — Rock gezogen, mal ohne Rüscherln — Ausschnitt höher, Ausschnitt tiefer — — Aermel zwei Sorten, kurz und lang, nur geheftet, je nach Rock in Falten Witterung. Wo sich altes Material so schlecht verarbeiten läßt, es ist unmög¬ lich, ich muß endlich einmal etwas Neues haben. Bei Gernklein sind so nette Kleider in der Auslage; schön und billig. Wenn ich eines haben könnte, wäre ich auf lange Zeit versorgt. Ich bin ohnehin bescheiden, aber als Aschenbrödel fühle ich mich nicht wohl unter den Damen, da bleibe ich lieber zu Hause.“ „Liebes Kind, das kostet Geld,“ erwiderte ich begütigend. „Ich habe unbe¬ grenztes Vertrauen zu Deiner Phantasie und zu Deinem guten Geschmack. Es wird sich schon irgendwie lösen lassen. Vielleicht änderst Du das Dirndl diesmal so, daß ein Aermel rot, der andere blau, der Einsatz gelb und der Saum grün wird. Das wäre originell. „Ja, mit dummen Witzen bist Du Schnorrer sogleich bei der Hand, aber ein Einsehen, was eine Frau unbedingt braucht, das. .. Das Weitere hörte ich nicht mehr, denn schon war ich draußen. Kaum war die Sitzung beendet und man ging in's „Gemütliche“ über, kreuzte die Frau des Kollegen Zingerl auf. Sie gehörte wahrhaftig nicht zu den geistreichen Frauen, dafür war sie sehr gesprächig, neugierig usw. Sie war ein Musterbeispiel des ehernen Gesetzes der Harmonie in der Natur. Was sich in ihrem geistigen Wesen an Ecken, Lücken und Kanten offenbarte, das wurde in rein körperlichen, in erhabenen Rundungen überreich ausgeglichen. Als sie neben mir Platz nahm, bekam ich einen leichten Schock. Sie fragte sogleich, warum ich so verdrossen sei. Ich antwortete ausweichend, daß der Grund eine kleine Dissonanz mit meiner Frau wegen des Betriebsausfluges wäre. 229

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