Kleinste Literaturgeschichte Steyrs DR. MORITZ ENZINGER Nescio, qua natale solum dulcedine captos Ducit, et immemores non sinit esse sui (Ovid). Univ. Prof. Dr. Moritz Enzinger, Innsbruck, ein gebürtiger Steyrer, feierte seinen 60. Geburtstag. Seit gegen Ende des ersten Jahrtausends nach Christi Geburt, um 980, auf dem Felsen, der den Zusammenfluß von Enns und Steyr beherrschend überragt, die Styraburg erbaut und von den Grafen von Lambach an die steirischen Ottokare vererbt worden war, war hier auch eine Stätte der Kunst und Dichtung geschaffen. Aber schon vorher hatte in den Klöstern der Um¬ gebung, mit denen die Stadt ja immer stark verbunden war, geistliche Dichtung ein Heim gefunden. Die beiden Benediktinerklöster vor den Mauern der Stadt, Garsten, bereits 985 urkundlich beglaubigt und noch vor Steyr gegründet, sowie Gleink, 1111 urkundlich erwähnt, bargen wohl manches dichterische Er¬ zeugnis, das der Zeit zum Opfer gefallen ist. Aus Gleink stammt eine Hand¬ schrift, der „Entechrist“, die vom Auftreten des Antichrists und dem jüng¬ sten Gericht erzählt. Sie ist in die Spätzeit geistlicher Dichtung, zwischen 1160 bis 1170 zu setzen und dürfte fränkischer Herkunft sein, was erklärlich scheint, weil Kloster Gleink mit Hilfe des Bischofs Otto I. von Bamberg gestiftet wurde. Aus Garsten ist das Bruchstück einer „Moses“=Dichtung erhalten, das mit seiner allegorisierenden Auslegung bereits ins 13. Jahrhundert weist. Der Epoche geistlicher Dichtung folgt die ritterlich=höfische. Auch zur Steyrer Hofhaltung zählte wohl mancher Gelehrte und mancher Sänger. Mög¬ lich, daß Ritterspiele und Minnesang Pflege fanden, da die Ottokare mit den führenden Geschlechtern der Babenberger Hohenstaufen und Welfen ver¬ wandt waren. Doch ist davon nichts erhalten und bekannt. Immerhin muß die Styraburg Ruf und Ruhm gehabt haben, da sie in Dichtungen genannt wird als Inbegriff eines Ortes, dem Glanz und Bedeutung zugeschrieben wird. In dem Gedicht „König Laurin“, das in der ältesten Fassung wohl um 1250 in Tirol entstanden sein dürfte, macht der listige Zwerk Laurin berühm¬ ten Recken viel zu schaffen. Er hat Dietleibs Schwester entführt, als sie mit ihrem Gefolge vor der Burg zu Steyr lustwandelte. Erst durch Dietrichs und der Seinen Heldentaten wird die Jungfrau wieder befreit. In dem mittelhochdeutschen Epos „Biterolf und Dietleib“, das in der kostbaren Handschrift des von Kaiser Maximilian I. beauftragten Ambraser Heldenbuches allein erhalten ist und wohl von einem steirischen Spielmann in steirischer Gegend verfaßt worden ist, erhält Biterolf nach mannigfachen Fahr¬ ten und Kämpfen, die er im Dienste des bewunderten Hunnenkönigs Etzel vollbringt, das gesegnete Steirerland als Eigentum, baut dort die Burg Steyr und bringt seine Gemahlin und all sein Volk und Gesinde dahin. Er selbst läßt sich künftig „der Stiraere“ nennen, ein Beisatz, der zunächst Dietleib galt 105
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