Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1952

Ein Ulieh-Wunderdoktor VON KARL KROBATH Der Kroisl Toni, dem seine bestmelkende Kuh schwer erkrankt war, und der Brandner Simon, der im Rufe großer Tierheilkundigkeit stand, stiegen den Berg hinan, auf dem die Kroislhube steht. Das große Wort führt der Kroisl Toni. Seine brave Kuh, die Moidla, hatte eine belegte Zunge und kurzen Atem. Ein so liebes, gutmütiges Tier, die Moidla, wie nicht bald eines. Sogar die Kroislbäurin mit unbelegter Zunge und langem Hals könne sich in Bezug auf Sanft¬ mut vor ihr verstecken. „Ja, du, Kroislbauer! Was glaubst denn, * wo es der Moidla fehlt: im Maul oder auf der Lungel oder etwa gar im Inkräusch?“ „Im Inkräusch nit, am Maul a nit. Dös sag i dir glei, Dokter. Auf der Lungel aber gewiß“, erklärte der Toni bereitwillig. „Kenn mi aus so¬ weit in solchen Stücken. Der Moidla ihr Schwe¬ ster, die semmelfarbene Seppla, hat vor drei Jahren 's gleiche ghabt und Lungenentzündung war's. Der tierheilkundige Simon fand sich hierauf zu der Erklärung bewogen, daß, obwohl bei den verschiedensten Tierkrankheitenviele „Sumptome“ haar¬ genau übereinstimmen, man also bei der „Diagnoste“ sehr vorsichtig sein müsse, im Falle der Moidla zweifellos Lungenentzündung vorliege. „Hättest mir gar nix zu sagen gebraucht, Toni Kroisl. Wenn man an die zwanzig Jahr umerdoktert, wird ein bißl mehr Praxis erarbeitet, als wie alle die geprüften Viechärzt aus ihren Büchern herauslesen tun: wo's dem Viech fehlt, was man für Medizin zu verschreiben hat.“ Die von Simon verwendeten Fremdwörter flößten dem Besitzer der kran¬ ken Moidla große Zuversicht auf eine gelungene Kur ein. „Bist wirklich ein sakrisch Pfiffiger! Glaub's dir, daß zehn Viechärzt unter dein Hut verstecken kannst.“ Dieses Lob stach dem Brandner Simon denn doch gewaltig in die Nase. Obwohl ein kleines, spindeldürres Männlein, streckte er sich, als wolle er mit seiner knolligen Nase ein wunderbares Rezept in die Wolken kritzeln. „Na, bist ein einsichtsvoller Mensch, Kroislbauer! Einer, der selber was versteht, kennt sich aus, was andere leisten! Soll mi nur so ein Geprüfter ein¬ sperren lassen! Dem möcht i erst erzählen, wie man 's liebe Vieh behandelt.“ Sie waren bei der Kroislhube angekommen. Die Bäurin empfing den Wunderdoktor mit vielen Worten und mit einer Schüssel Schmalzmus. „Grüß Gott, Doktor! Bevor die Lungelentzündung anschauen gehst, mußt war War¬ mes in den Magen stecken!“ „Wenn's sein muß!“ Der Brandner Simon ließ sich nicht ein zweites Mal bitten und hieb tüchtig auf das Mus ein. 57

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2