daß ich auf solche Art schon manches Stück ihrer Kunst verschlafen habe. Es gelang ihnen zwar in der Regel leicht, mich mit der Gewalt der Töne wieder aufzuwecken, aber ich hatte doch hinterher nicht das Gefühl, es fehlte mir etwas. So ein Marsch dagegen, einmal angefangen, schreitet er mit Naturgewalt und ist nicht mehr aufzuhalten, da fügt sich alles wohlgeordnet ineinander nach der hergebrachten Kunst und Regel und jeder Ton ist unantastbar und gewisser¬ maßen heilig wie das Wort im Paternoster. Großartig, wenn zur Abendzeit die Musikanten auf den Dorfplatz rücken und sich im Kreis unter der Linde aufstellen. Jeder hat einen Buben mit dem Windlicht hinter sich stehen, denn es dämmert schon stark, es mag im Früh¬ sommer sein, wenn die Luft schon warm ist, und voll von erregenden Gerüchen. Rund herum sammeln sich die Zuhörer nach Neigung und Gemütsart, die je Sanfteren bei den Flöten, die Heißblütigenbei den Hörnern und nur die Ver¬ liebten bleiben im Dunkeln. Gepfiffen odergeblasen, ihnen ist es einerlei, wenn nur niemand darauf achtet, was auf denHausbänken geschieht. Ich wählte meinen Platz bei der Trom¬ O mel, schon seit den Kindertagen stehe ich dort am liebsten. Damals verdroß es mich □ sehr, daß der Tambour so wenig Dank erntete, ich konnte das nicht verstehen. Ein Jahrmarkt von Geräten war um ihn her¬ um aufgebaut, manchmal wußte er wirk¬ — lich nicht, wonach er zunächst greifen sollte, nach Trommel oder Becken, Triangel oder 24 Glockenspiel. Dabei war er so unverdros¬ — sen, und wenn er sich wirklich einmal einen Augenblick Ruhe gönnte, schon warf der Kapellmeister einen bösen Blick nach ihm und er mußte von neuem die Schlegel rühren. Am Ende aber, wenn alle Arbeit getan war, kam wieder nicht das wahre Verdienst zu Ehren, sondern der Kapell¬ meister blähte sich auf und dankte nach allen Seiten für den Beifall, er, der doch überhaupt keinen Ton von sich gegeben hatte. Heute weiß ich ja, wie sich die Sache verhält. Aber dennoch so oft mein guter Glaube an die Gerechtigkeit in der Welt zuschanden wird, fällt mir mein Trommler wieder ein und seine unbedankte Kunst. Nun steigt der Kapellmeister inmitten der Runde auf ein Faß und mustert seine Leute. Man muß ihnen Zeit lassen, sich einzurichten, denn sie wollen ein schwieriges Stück zum Besten geben, den „Auszug des Kriegers“ Noch einmal werden die Zungen der Klarinetten beleckt und die Rundstücke der Trompeten entleert, und der tiefe Baß muß sich eine Grube in den Boden scharren, damit er einen verläßlichen Stand hat und mit der Stiefelspitze den Takt klopfen kann. Er baut gleichsam das tragende Gerüst, an das die anderen nur ihren Zierat hängen. Schließlich aber steht auch der letzte bereit und für alles gerüstet. Der Kapellmeister hebt die Hand, er sieht aus, als wolle er noch ein beschwören¬ des Kreuz über dem Ganzen schlagen, und gleich darauf stimmen die Bläser ihre gemächliche Weise an. Vielleicht ist es so gemeint, daß der Krieger eben von der Arbeit heimkommt, man hört ihn pfeifen und den Feldweg entlang schlendern und in das Haus tappen. Dort findet er wohl die Frau am Herd und die Suppe auf dem Tisch und eine Glocke läutet auch dazu, so friedlich ist der Feierabend. Allein schon grollt auch etwas Drohendes dazwischen, ein Hornruf mischt sich von fern darein. Sogleich läßt der Mann den Löffel fallen; 54
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