Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1952

Losenstein um 1800 mit dem bergwärks fahrenden Eisenschiffe. Nach einer Litographie des Josef Gabriel Frey, Gerbermeisters zu Weyer. Marschmusik Von K. H. Waggerl. Einige im Dorf, die mit mir jung waren, erinnern sich wohl noch an das Krämerhaus neben der Kirche, und dann wissen sie auch, daß dort ein alte Schrank oben in der geräumigen Diele stand, ein riesiges Gehäuse, aus Lärchen¬ holz gezimmert und mit ungefügtem Schnitzwerk verziert. An großen Festtagen, zu Floriani etwa oder zu Fronleichnam, stieg der Vorstand schon frühmorgens mit dem Schlüssel in der Hand die Treppe hinauf und immer durften auch etliche Buben hinter ihm herstolpern, denn in jenem Schrank wurden die Fahnen aller Vereine aufbewahrt und der alte Mann hielt viel darauf, daß die Jugend beizeiten lernte, das Hergebrachte zu achten. Wenn er nun schwer¬ atmig und umständlich die Türen aufschloß, dann öffnete sich gleichzeitig das Himmelstor und eine Flut von Farben drängte ans Licht, von prunkender Seide und blassem Gold. Waren es etwa die Schützen, die ihren Jahrestag feiern wollten, so hob der Vorstand die grünseidene Fahne vom Schragen. Er hatte den Hauptmann und den Fähnrich hinter sich, alle drei traten an das Fenster und entrollten das ehrwürdige Tuch, um es wieder einmal zu be¬ trachten. Auf der einen Seite war der Ritter Georg aufgemalt. Silbern gerüstet und freundlich lächelnd heftete er den Wurm mit der Lanze an die Erde. Wenn der Hauptmann mit seinem groben Finger über die Seide fuhr, knisterte sie, als sprängen Funken heraus. Harte Zeiten damals, es ist lange her. Inzwischen war vieles in der Welt anders geworden, besser nicht, nur schwieriger, es gab keine Drachen mehr, aber auch keine Wundertäter. Darum zeigte die Fahne auf der anderen Seite nur eine Scheibe mit dem Laubkranz, zum Zeichen, daß die Schützen noch immer gern schossen, wenn sie auch keine Kugeln mehr zu 52

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