Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1952

Der Mann 000 Goles Von N. Negrelli-Moldelbe Es war im Krankenhaus. Ich wartete auf einer Holzbank den Beginn der Besuchszeiten ab. Es roch nach Lysol und zuweilen rauschte die gestärkte Schürze einer vorbeihuschenden Schwester. Auf einer Glastafel stand „Chirur¬ gische Abteilung“. So oft ich diese beiden Worte las, bebte der Blumenstrauß in meiner Hand. Ich bin sehr wehleidig und kann kein Blut sehen. Nicht ein¬ mal in Würsten. Deshalb falle ich auch nicht unter das Verbotsgesetz. Plötzlich erschien am Ende des keimfreien Wandelganges ein seltsames Paar. Auf ein greises Mütterchen gestützt, humpelte ein junger Mann daher. Das linke Bein war geschient. Der rechte Arm trug einen unförmigen Gips¬ verband. Kalikobinden verhüllten das halbe Gesicht. Nur ein Auge starrte aus dem Verband. In diesem Auge aber irrlichterte die Angst. Erschüttert be¬ trachtete ich diese menschliche Ruine und verfluchte den Krieg. Schwesternhände nahmen den armen Teufel in Empfang. Aufstöhnend verschwand der bleiche Jüngling in der Tür des Verbandsraumes. Das alte Mütterchen aber wankte zu meiner Bank. Setzte sich an meine Seite und wischte eine Träne von der faltigen Wange. „Armer Bursche!“ sagte ich und hüstelte verlegen. Fast schämte ich mich ein wenig meiner geraden Glieder. „Diese Verbrecher!“ setzte ich hinzu und schnupfte auf. Die alte Frau warf mir einen gerührten Blick zu. Zog ein weißes Tüch¬ lein aus der Handtasche und brach los: „Ja, lieber Herr, so haben sie mir meinen Sohn hergerichtet. Er hat nur seine Pflicht getan. An so vielen Kämp¬ fen war er beteiligt. Jeden Angriff hat er mitgemacht. Wo es heiß zuging, war er mitten im Gewühl. Nie ist ihm etwas geschehen. Wie habe ich oft um den Buben gezittert!“ Eine welke Hand führte das Tüchlein zur Wange. Ich fand kein Wort des Trostes. „Mater dolorosa!“ stammelte ich und legte mein Bukett in den Schoß der alten Frau. Ergriffen nickte mir das Weiblein zu. „Ich habe mir's gleich gedacht, daß Sie ein Volksdeutscher sind“ flüsterte die Alte. Plötzlich aber begannen ihre Lippen zu beben. „Lang nach dem letzten Schuß haben sie meinen Buben überfallen. Weiber haben ihn niedergerissen. Halbwüchsiges Gesindel ist auf ihm herumgetrampelt. Sogar an der Sanität hat sich die wütende Meute vergriffen.“ „Also Partisanen“, flüsterte ich verstehend und schauderte. Die alte Frau sah mich verständnislos an. „Ich weiß nicht“ seufzte sie, „wie das gekommen ist. Ich war ja nicht dabei. Eines aber sagen alle: Mein Franzl hat keine Schuld. Mein Bub ist der beste Schiedsrichter vom ganzen Fußballverband.“ 51

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