Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1952

geraden Glieder gegeben, wodurch es mir möglich wurde, jeder Arbeit aus dem Wege zu gehen. Wir machten zwar öfters einen Ausflug: vom Gastzim¬ mer in das Extrazimmer oder gar in 's Kaffeehaus; aber dann saßen wir stundenlang. Also hörte ich aufmerksam zu, als meine liebe Frau vorschlug, jeden Sonntag mit den Kindern eine kleine Bergpartie zu machen. Da kämen wir in die frische Luft, schwitzten uns aus und die „lätscherte Fett'n,“ wie sie sich ausdrückte, würde verschwinden. Nur Samstag abends müßte ich dem Stammtisch früher ade sagen. Diese Entfettungskur ging daneben. Wir sind chwitzen — Appetit nicht weit gekommen. Kurz gesagt: frische Luft — Durst. Als wir uns abends mit einem Taxi abführen ließen, hatte ich das dop¬ pelte Quantum Gumpoldskirchner gegenüber meinem gewöhnlichen Deputate und eine ganz nette Bettschwere. Meiner Frau war das Taxi auch recht, denn sie hatte große Schmerzen, konnte gar nicht mehr richtig gehen wegen eines akuten Blasenleidens, auf den Fersen, verursacht durch die neuen Berg¬ chuhe. Man sollte meinen, daß das Thema „schlanke Linie“ wegen des peinlichen Mißerfolges des ehefraulichen Arrangementes nun erledigt gewesen wäre. Wer dies glaubt, der kennt meine liebe Frau sehr schlecht, denn wenn die ich einmal etwas in den Kopf gesetzt, dann. .. Kaum war das achillesfers¬ liche Blasenleiden ausgeheilt, fing sie von neuem an: „Du Papa! Im Aerzte¬ buch habe ich gelesen unter Entfettungskur: Beschränkung der Flüssigkeits¬ zufuhr, Schwitzen, Abführmittel, Turnen. „Hör' mir auf mit Deinen Re¬ zepten, wehrte ich ärgerlich ab, „vorigen Sonntag habe ich mir mehr Flüs¬ igkeit zugeführt als sonstwie, geschwitzt haben wir auch tüchtig und das Taxi als Abführmittel war auch da. „Na und turnen?!“ ereiferte sie sich, „das müssen wir noch mitmachen, und zwar zu Hause, schön gemütlich, das kommt auch billiger als diese Land¬ frühmorgens Weckruf, dann Leibesübungen, partien. Weißt, Alter, im Radio, das wird Dir gut tun.“ Als ich sonntags im besten Morgenschlafe lag, träumte mir, ich wäre bei einer Veteranenleiche. Die Musik spielte so wunderschön und ein Schutz¬ mann stieß und riß mich herum, wie verrückt, weil ich auf seinen Säbel ge¬ spuckt hatte. Da wurde ich allmählich munter und merkte, wie mich meine Frau an der Schulter rüttelte und mir zärtlich ins Ohr schrie: „Aufstehen!! Heraus aus dem Bett!! Körperübungen!! Hörst Du nicht den Weckruf?! Dein Lieb¬ lingsmarsch wird gespielt!“ Ich brauchte natürlich einige Zeit bis ich zu mir kam. Und richtig, das Radio spielte gerade den „Erzherzog=Novak=Marsch“, bei dem wir seinerzeit so stramm defiliert hatten. Flugs, wie der Wind war ich in der Küche, auf dem Turnplatz, will ich sagen. Meine Familie war schon versammelt. Die Frau, der Bub, das Mädel, alles komplett. Ein herrlicher An¬ blick! Alle im Schwimmkostüm, wie bei der Olympiade in Rio de Janeiro. Ich kam gerade recht, wie aus dem Lautsprecher eine freundliche Frauen¬ stimme grüßte: „Guten Morgen, meine Damen! Guten Morgen, meine Herren!“ „Guten Morgen, wünsche ich, liebes Fräulein“, dankte ich höflich. „Das kann doch auch eine Frau sein,“ belehrte mich meine Gemahlin. „Ist mir Wurst, sie hört mich ja so nicht,“ gab ich zurück. „Arme schütteln!“ „Beine schütteln!“ kommandierte jetzt eine Radiostimme. Donnerwetter! Hat die ein Kommando! Wird doch schon eine Frau sein. Die Mäderl haben zwar meist auch ein gutes Göscherl, aber es fehlt das Positive in der Sprache, der Befehlston; der kommt erst später, in der Ehe. Radiostimme: „Hüpfen! Sprin¬ gen!“ Also allgemeine Springerei. So muß es ungefähr in einem Flohzirkus 47

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2