Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1951

ungeheurer Bedarf an Nahrung, für den der zarte Honigtau nicht entfernt ausreicht. Die ganze Entwicklung: Ei—Larve(Made)—Puppe bis zur fertigen Ameise braucht bei warmem Wetter zwei Tage länger als vom Ei zum Küch¬ lein, also 23 Tage. Die aus dem nur Bruchteile von Millimetern messenden Ei auskriechende Made hat die Aufgabe, die Baumaterialien für ihr Dauer¬ stadium als Imago (fertiges Insekt) anzusammeln und wird daher mit gerade¬ zu fieberhafter Aufmerksamkeit von den als „Kinderwärterinnen angestellten geschlechtslosen Arbeitsameisen gefüttert. Ein Großteil jener sprichwörtlich ge¬ wordenen „Emsigkeit“ (Emse — alte Form des Wortes Ameise!), die das Leben der Ameisen auszeichnet, geht auf die Dringlichkeit des Brutgeschäftes zu zurück und seinem Umfang verdanken wir es, daß die Rote Waldameise ist einem der wichtigsten „Flurschützen“ in der heimatlichen Natur geworden deren Wichtigkeit zur Erhaltung des Naturgleichgewichtes von manchen Forst¬ biologen sogar der der Singvögel nahegestellt wird. Aus diesen biologischen Zusammenhängen ergibt sich mit zwingender Folgerichtigkeit die Unterstellung der Roten Waldameise unter das Naturschutz¬ gesetz aller mittel= und nordeuropäischen Staaten, und zwar nicht nur in Bezug auf das ausgebildete Tier, sondern auch auf alle Entwicklungsstufen und die Bauten, welche bis zu 20 oberirdische Stockwerke und ebensoviele unterirdische aufweisen. Der Wirkungsbereich eines solchen Tierstaates kann sich auf 20 bis 30 Meter im Umkreis erstrecken und noch bedeutend vermehrt werden, durch die Anlage von Filialnestern, die durch die bekannten Ameisenstraßen mit der „Hauptstadt“ verbunden sind und als Provinzstädte und =Dörfer bezeichnet werden können. Gefährdet werden die Staaten der Roten Waldameise durch mutwilliges Zerstören der Nisthügel, durch Sammeln von „Ameiseiern“ und durch Be¬ reitung von „Ameisengeist“ aus destillierten Ameisen. Dem ersten Unfug kann noch am ehesten durch eindringliche Darstellung des biologischen Wertes der Tiere von Seite der Lehrer gesteuert werden. Die Nutzung von den sogenannten Ameiseneiern für die Pflege und Aufzucht von Vögeln ist an eine Sonderbewilligung durch die Landesregierung gebunden deren Bedingungen von der fachlichen Beurteilung durch Forst= und Natur¬ schutzbehörde abhängig ist. Die merkliche Abnahme der Waldameisenkolonien in Oberösterreich, die noch lange nicht beendigten Käferschäden in unseren Waldungen, der das Gedeihen des „Ungeziefers“ fördernde sonnige April und die vergangenen zwei Dürrejahre, die nicht die letzten zu sein scheinen, haben biologische Verhältnisse geschaffen, welche bis auf weiteres die Bewilligungen zum Sammeln von Ameiseneiern als untragbar erscheinen lassen. Hiebei sei noch bemerkt, daß die volkstümliche Bezeichnung „Ameiseier“ nicht einer ge¬ wissen Komik entbehrt, da das, was damit gemeint ist, die Puppen der Wald¬ ameisen darstellt, also das Stadium vor der Endstufe, in welchem schließlich die Zustand in einem zarten Ge¬ noch fast farblose Ameise in leicht gekrümmtem fertige Tier. Hier von „Eiern“ spinst (Cokon) liegt und fast so groß ist als das als wollte man von einem Haushuhn ein zu sprechen wäre ungefähr so, menschenkopfgroßes Ei erwarten. Es ist richtig, daß die Ameisenpuppen eine gute Nahrung für Jungvögel und Weichfresser darstellen und die gesetzlich zur Stubenpflege zugelassenen Weichfresser: Schwarzplattel, Gartenrotschwanz, Rotkehlchen, Gelbspötter, Wiesenpieper und Star sie sehr gern annehmen. In Zeiten der großen Wald¬ schädigungen, die schwer in das Volksvermögen eingreifen, müssen die Vogel¬ pfleger auf die leicht zu bewerkstelligende und fast kostenlose Mehlwurmzucht verwiesen werden. Die dritte Schädigung der Waldameisen, die darin bestand, daß in großen glattwandigen Töpfen Hunderttausende von Waldameisen gefangen und dann aus ihnen „Ameisengeist“ herausdestilliert wurde, ist heute überholt, denn die hochentwickelte technische Chemie vermag derzeit 10 Gramm reinste Ameisen¬ 95

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