gesenkten Hauptes schritt Johannes auf seinen Chorstuhl zu; als er dort an¬ langte und den Blick emporhob, da zuckte es wie ein Messerstich durch sein Herz und seine Knie wankten, denn in seinem Chorstuhle lag die weiße Rose. Darum also hatte er kennen gelernt, was das Leben Schönes habe, darum also war er seinem Gotte untreu geworden, daß er jetzt fort müsse mit dem Herzen voll Bildern der Lust und beladen mit der Sünde des gebrochenen Gelübdes. Er hob das blasse, verstörte Antlitz empor und betete: „Mein Herr und Gott, ich bin doch noch so jung! Warum soll ich hinab unter die finstere Erde? Lasse die Alten und Schwachen sterben, mich aber verschone, o Herr! Kaum hatte er diese Worte gesprochen, zuckte es wie ein Blitz durch die Seele des Jünglings. Der Frater Vincentius, ein schwacher, kranker Greis von der 90 Jahren, der kaum mehr, auf Krücken gestützt, den Versammlungen hielt Brüder beiwohnen konnte, betete täglich um sein Ableben. Diesen nun chon Johannes für reif zum Tode. Noch sträubte sich sein Herz dagegen, aber läutete das Glöcklein und es war keine Zeit zu verlieren. Rasch mit klopfendem Herzen und zitternder Hand bückte er sich, hob die weiße Rose auf, trug sie zum Chorstuhle des Fraters Vincentius und legte sie in demselben nieder. Dann eilte er zurück zum eigenen Stuhle, setzte sich und begrub sein bald er¬ glühendes, bald erbleichendes Antlitz in den Blättern des Breviers. Nach und nach kamen die Mönche zur Hora. Einen raschen Seitenblick warf jeder auf die weiße Rose im Chorstuhle des Fraters, aber schweigend schritten sie auf ihre Plätze. Zuletzt kam der ehrwürdige Greis selbst heran¬ gehinkt. Als er das weiße Todeszeichen erblickte, faltete er die Hände und rief mit lauter Stimme: „Gepriesen seist du, o Herr! Du hast Wunder getan an deinem Knechte, lasse mich eingehen in deinen Frieden!“ Betend sank er nieder und als die Brüder hinzutraten, um ihn aufzu¬ heben und in seine Zelle zu geleiten, da sahen sie, daß er ihrer nicht mehr bedurfte. Denn das Rosenwunder hatte sich erfüllt und Vincentius war bereits in die Ewigkeit hinübergegangen. Ein leises, seliges Lächeln spielte auf den blassen, stillen Zügen des frommen Greises. Johannes gelangte, er wußte nicht wie, in seine Zelle. Die Morgensonne schien hell und freundlich für die ganze Welt, aber für ihn glühte sie rot und blutig und schrieb mit blutigen Flammenzügen an die Wand der Zelle: Jo¬ hannes, du bist ein Mörder! Vor seinem Fenster am Sims im Weinlaube nistete ein lustiges Schwal¬ benpaar, dessen Munterkeit ihn oft ergötzt hatte. Heute aber flogen sie unruhig hin und her und zwitscherten durch das Gitter herein: Johannes, du bist ein Mörder! Seiner Verzweiflung entriß ihn ein Auftrag des Priors, eine Leiche ein¬ zusegnen. Er ging hinab in die Kirche. Weinende Verwandte umstanden einen Sarg, der nach altkärntnerischer Sitte aufgedeckt war. Aber wie erstaunte das Leichengefolge, als der Priester, der zur Einsegnung hereintrat, plötzlich zu¬ sammenbrach wie ein gebrochenes Rohr und ohnmächtig zu Boden sank. Ach, er hatte die liebliche geknickte Blume erkannt! Ihr Antlitz war nicht verändert. Noch war es so still und schön und rein wie ehedem. Nur fehlte der milde Schimmer des blauen Auges, das jetzt geschlossen war auf ewig. Das Staunen der Leichenbegleiter wuchs, als sich der Priester plötzlich wieder erhob. Sein Antlitz war totenblaß, aber mit fester Stimme sprach er: Der Herr gebe ihr den ewigen Frieden! Mit fester Hand nahm er von ihrem Haupte eine weiße Rose, sprengte das Weihwasser über die Tote und bestreute sie mit Asche. Als die weinenden Verwandten die Leiche zur ewigen Ruhe hinaustrugen, kniete er am Hochaltare nieder und betete lange und inbrünstig. Jahre flossen dahin und es kamen schwere Zeiten für Arnoldstein. Die Pest, „der schwarze Tod“ genannt, wütete überall und im Chore der Mönche zu Arnoldstein sah es aus wie in einem Gärtlein voll weißer Rosen, aber der 85
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