Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1951

Da Ofeontühel Von N. NEGRELLI-MOLDELBE Der Stationsarbeiter Johann Ploderl der Bahnstation Elendshausen¬ Pimpfdorf stapfte eines Morgens mißmutig in den Wartesaal dritter Klasse. Es war bitter kalt und es gehörte leider zu Johann Ploderls Dienstverrichtun¬ gen, jeden Morgen drei eiserne Oefen einzuheizen und in Brand zu erhalten. So schritt er denn gähnend zu dem rußigen Ungeheuer in der Ecke, entzündete fachgemäß zwei unzusammengeknüllte Direktionsamtsblätter und hob das Ofentürl in die Höhe. War es nun die ungestüme Hast seiner Bewegung oder die Schwäche des verrosteten Materials gewesen, kurz, es geschah, daß sich das eiserne Ofentürl losriß und in seiner Hand blieb. Der Stationsarbeiter Ploderl AA A 2 E WA 1. 4 1 E E — r war zuerst geraume Zeit verblüfft, dann aber, als er sich genauest überzeugt hatte, daß der Schaden nicht wieder gutzumachen sei, beschloß er, den Fahr¬ dienstleiter Dominik Wurzer von dieser betrüblichen Begebenheit zu verstän¬ digen. Mit dem rußigen Ofentürl in der Hand wanderte er zu diesem Zweck in die Verkehrskanzlei. Dort saß beim Schein einer armseligen Oelfunze der junge Fahrdienstleiter und bemühte sich mit Anspannung aller Kräfte wach¬ zubleiben. Dominik Wurzer war todunglücklich. Seit dem Tage, da ihn der Befehl seiner Direktion aus der Stadt in die Eintönigkeit Elendshausens ver¬ chlagen hatte, war er melancholisch geworden. Er wußte nie, was er beginnen sollte, um die Langeweile totzuschlagen. Er war immer auf der Suche nach Anregung. Er hatte bereits die Gehaltsvorschriften seiner Verwaltung ins Englische und in Blindenschrift übersetzt, er hatte in endlosen Nächten zwölf Wäschegarnituren der Frau Vorstand mit himmelblauer Seide gemerkt und sich durch Wochen ebenso eifrig wie erfolglos bemüht, den Stationsarbeiter Ploderl in die Geheimnisse des Schachspiels einzuführen. In diesem Augenblicke, da nun der Stationsarbeiter mit dem Ofentürl in der Hand vor ihn hintrat, bemühte sich der junge Beamte gerade, aus dem Stationsverzeichnis eines uralten Kursbuches alle jene Ortsnamen herauszu¬ streichen, die mehr als drei Vokale aufwiesen. Aus dieser geistreichen Beschäfti¬ 80

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