Weihnacht wühlten wir 's hervor und betrachteten es mit unterdrücktem Jubel, doch meinten die Brüder, es sei schade, daß ich darauf so ein finsteres Gesicht mache. Ich aber bildete mir ein, es sei recht so, jedermann sehe daraus, daß ich von allen dreien der Gescheiteste sei. Meine Gescheitheit bewies ich noch am Tage vor Weihnacht. Onkel Jo¬ hannes hatte zum Beweis seiner Mechanikergeschicklichkeit ein kleines, zier¬ liches Hauseisen angefertigt, dessen Zeichen er nun in jeden Wischer und Be¬ senstiel einbrannte. Ich kam auf den Einfall, es müßte auch die Rückseite unseres Bildes wohl anstehen. Mit glühend gemachten Eisen hinauf auf den Dachboden, das gewendete Bild auf den Obsttrog gelegt, handfest gedrückt, da — ein Klirren — das Schutzglas war in Stucke gegangen! Als ich die Splitter kleinlaut entfernte, kamen die Brüder dazu, in ihrem Zorn fielen sie mit ihren Fäusten über mich her, in meinem Schuldbewußtsein wehrte ich mich nicht einmal, kümmerte mich tiefverdrossen auch um das Bild nicht mehr, sie waren so klug, es in letzter Stunde zu einem Glaser zu bringen. aber So kam es doch in gutem Zustand unter den Weihnachsbaum. Als wir uns ausgewiesen hatten, daß wir das Geld dafür ehrlich durch unsere lange heimliche Dochtenstrickerei verdient hatten, freuten sich auch die Eltern an dem gelungenen Bild ihres Dreiblattes und ließen unseren Weih¬ nachtseinfall gelten. Dennoch war es nicht die größte Ueberraschung des heiligen Abends, son¬ dern diese bereitete der Vater, der in der Nähe von Basel Spinnstühle auf¬ gestellt hatte und auf das Fest heimgekehrt war. Die Weihnachtskerzen waren niedergebrannt. Da zündete er eine große, starke Petroleumlampe an, die er aus Basel mitgebracht hatte, die erste in unserem Dorf. Uns war, sie erleuchte die Stube sonnenhell und über die Festtage herrschte ein Kommen und Gehen von Nachbarn und weiteren Bekannten, die das neue, wunderbare Licht sehen wollten. Am meisten begeisterte sich daran Johannes, der auch Gewerbeschüler war. „Jetzt ist es ein anderes Zeichnen, als bei dem elenden Oel= und Talg¬ licht und der verfluchte Lichtputzschere. Da kommt ihr in eine schöne Schulzeit hinein, Buben! Da ist ja das Aufgabemachen eine Lust. Jedermann wird jetzt am Abend lesen, eine Zeit der Bildung bricht unter den Menschen an, jeder wird die Gesetze kennen lernen, wissen was Recht und Unrecht ist. Man kann die Friedensrichter abschaffen, denn die Händel entstehen doch nur aus der Dummheit der Leute. Nicht nur die Friedensrichter, sondern auch die Ge¬ richte und der Krieg. Die Menschen werden so gebildet, daß das alles überwun¬ ist. Ja, Buben, wir leben durch das Steinöl in einer schönen Zeit! den So hielt er uns schwärmend Vortrag über das neue Licht und wir lausch¬ ten ihm gläubig. Mein guter Johannes! Weder du noch meine Brüder haben es erlebt, daß die Menschheit durch die Petroleumlampe, noch durch eine andere Erfindung und Entdeckung viel gescheiter oder viel besser geworden ist. Dafür seid ihr zu früh gestorben. Aber auch ich, noch der einzige aus dem damaligen Familien¬ kreis, werde es nicht erleben. Doch ist manches anders geworden. Aus den Feldern der Heimat ist der ölspendende Lewat!) verschwunden, dessen Blüte sie weithin übergoldete, und dort versteht kein Kind mehr das anmutige Rätsel, das du uns aufgegeben hast, und das wir spielend errieten: „Wer bin ich? In der Jugend habe ich blaue Krönchen getragen, im Alter werd' ich mit Prit¬ schen und Hecheln geschlagen.“ Einförmig sind unsere Fluren geworden. Es gibt keine Knaben mehr, die wegen einer Photographie wochenlang unter der Bettdecke Dochte stricken. Und ich selber bin anders geworden. Damals habe ich für das Bild die sauersten Krämergänge auf mich genommen, jetzt ist mir der Photograph ein Schrecken. So wechseln die Ideale des Lebens. Jenes Bild aber, das uns drei kleine Bengel darstellte, würde ich gern noch einmal 69
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