ohne das Geld wieder anzunehmen, die Dochten zurück und stopfte mir die Taschen voll Aepfel. Ich aber ging todunglücklich aus dem Haus. Welche Schande für meinen Vater, daß er, bevor er die Mutter fand, eine andere gern gesehen hatte, welche Schande für mich, wenn sich die Frau nun viel¬ leicht einbildete, meine Eltern hätten meinen Dochtenhandel nötig. Und nie, nie würde ich den Gruß bestellen. Dennoch wagte ich in diesem Dorf noch einmal einen schwachen Versuch meine Ware anzubringen, doch nur deswegen, weil ich die Frau, der mein Antrag galt, auf der Haustreppe stehen sah. Mit wohlgesinntem Gesicht hörte sie meinen Handelsvorschlag an, da trat aber der Mann, ein derber Bauer her¬ vor, stellte sich wichtig vor mich hin und versetzte bärbeißig, aber mit verhal¬ tenem Spaß: „Du Bub, ich bin der Gemeindeamann. Wo hast Du Deinen Hausierschein? Du hast keinen? Da muß ich halt dem Büttel rufen, daß er Dich hinter die genagelte Tür steckt.“ Die Angst vor der Polizei und die Furcht, der Vater könnte von der Einsperrung seines Aeltesten erfahren, machten mich erzittern. Das Ehepaar belustigte sich daran, die Bäuerin sagte lachend: „Schnell, Büblein, lauf!“ und deutete gegen den Wald hinab. Ich benützte die Erlaubnis augenblicklich, lief ohne Pfad, kam mit Dorn¬ kritzen im Gesicht durch die Dämmerung heim, erzählte den Brüdern im Bette meine wunderlichen Erlebnisse, und schloß: „In meinem Leben verkaufe ich keine Lampendochte mehr!" „Und wir haben noch so viele,“ seufzte Heinrich. Wir machten nun Kassensturz und siehe da, an die Kosten für die ge¬ plante Bildaufnahme fehlte nur noch ein Franken. „Das ist einfach“ beriet ich die Brüder, „wir versprechen dem Photographen, daß wir den Rest nach Neu¬ jahrbezahlen werden, über die Festzeit erhält doch jeder einiges Geld geschenkt.“ „Wenn es aber Peter Stephan nicht glaubt?“ warf Emil ein. „Wir müssen eben alle drei vor ihm ehrliche und unschuldige Gesichter zeigen. Damit war der eine Schmerz erledigt, die Brüder froh, daß die nächtliche schlaftrunkene Strickerei ein Ende gefunden hatte, aber die schwere Frage blieb noch: „Wie alle drei mitsammen sonntäglich in die Stadt gelangen, ohne daß die Mutter Verdacht schöpfte? Wir hatten dort bloß eine Verwandte, die hieß bei jedermann in der Familie das „böse Anneli“. Sie erschien uns stets wie ein verkleideter Mann, war groß, grobgliedrig, von lauter Stimme und spielte, wenn der Vater in der Fremde weilte, die mütterliche Geduld sich an uns erschöpft hatte, die Rolle der Drohgestalt: „Jetzt muß das böse Anneli kommen und Euch in die Schuhe stellen.“ Ihr undankbares Amt erfüllte sie mit großer Gutmütigkeit und krümmte uns nie ein Haar, aber eine geheime Scheu hatten wir vor ihren plumpen, starken Händen doch. Für diese Verwandte erfaßte uns, da wir in die Stadt zum Photographieren gehen wollten, plötzlich eine mächtige Liebe wir setzten der Mutter auseinander, daß es von uns ein Unrecht sei, das böse Anneli nie zu besuchen und wir wollen es doch vor der heiligen Weihnacht noch tun. „Ihr wollt Euch bloß die Läden ansehen,“ lachte die Mutter, „aber da ihr mir auf Umwegen kommt, müßt Ihr wirklich beim bösen Anneli 4 vorbei! Um der Base keinen Anstoß zu einem schiefen Urteil zu geben, zog sie uns die schönen Gewändlein an, auf die in mäandrischem Spiel grüne Schnüre aufgenäht waren, gab uns, damit wir den Besuch nicht schwänzen könnten, einen Brief an Anneli: „Also los, ihr drei!“ Die Straße führte durch eine lange Pappelallee und die Stadt erfüllte die Knabenherzen mit Freude und Grauen. Die Gassen und Tore waren ungemein malerisch, die Tore besonders mit ihren bunten Wappenhaltern und Kriegs¬ schildereien. Sie beschäftigten die Einbildungskraft umso stärker, als wir noch nichts davon verstanden. Das Wunderbarste aber war für uns stets die 67
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