Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1951

hatten wir unser Lager gemeinsam in einem breiten Bett, das wegen seiner Größe den Familiennamen das „Dampfschiff“ führte. Unter der Decke, die wir mit Stäben schützten, befand sich die Werkstatt. Trat die Mutter nach dem er¬ sten Gutenacht doch noch einmal in die Kammer, flugs war das Licht aus¬ gelöscht, lagen die Stäbe umgestoßen unter der Decke, wie Dachse in ihren Höhlen schliefen die drei Bengel. Nachher aber ging 's wieder an die Arbeit, auf die sich meine Brüder sogar im Dunkeln verstanden. Meine Aufgabe war dabei, ihnen flüsternd Geschichten zu erzählen, damit sie nicht einschliefen, aber entweder waren die Geschichten nicht fesselnd genug, oder ich erzählte schlecht, denn bald begann der Bruder zur Rechten, bald der zur Linken im Aufrecht¬ sitzen wie ein Perpendikel zu schwanken. Unbarmherzig gab 's einen Rippensto߬ „Schaffen müssen wir, sonst können wir die Photographie nicht machen lassen! Erst um Mitternacht hörten die Müden auf mit dem Dochtenziehen. Mir aber brachte der Vertrieb auch manches Kreuz, obgleich wir den Preis sehr billig angesetzt hatten, auf einen Rappen das Stück. Für meine Be¬ kannten, die mich sonst stets hatten in den Tag hineinleben sehen, war es etwas Sonderbares, daß ich nun auf einmal auf Erwerb ausging. Die Mädchen der Nachbarschaft beleidigten mich mit dem Spottruf „Joggeli, der tochtige Dochtenkrämer“. Die Verwandtschaft betrachtete unsere Industrie ebenfalls mit kopfschüttelnder Neugier und brachten ihr nicht die Kauflust entgegen, auf die wir gerechnet hatten. Diejenigen, denen wir im heimlichen fünfzig Dochten zugedacht hatten, nahmen uns nur zwanzig, diejenigen, die zwanzig hätten kau¬ fen sollen, nur zehn oder fünf ab. Dazu die neugierigen Fragen, was unser Handel bedeuten solle. Ja, wenn ich es verraten hätte, wäre da und dort ein Zwanziger mehr abgefallen, der Reiz des Geheimnisses aber auch dahin ge¬ wesen. Nun hatte ich den Kreis erschöpft und noch nicht viel mehr als die Hälfte des nötigen Betrages beisammen. Ich dehnte meine Krämergänge auch auf Dorfteile aus, deren Bewohner ich weniger gut kannte, und sah im Eifer die scheelen Blicke nicht, denen ich begegnete, nur die Fünfer, die etwa fielen. Da sagte mir aber eine Frau, von der ich daheim stets mit großer Achtung hatte sprechen hören, freimütig ins Gesicht, was wohl alle dachten, denen ich meine Brennschnüre antrug: „Du schleckst gewiß heimlich, Joggeli! Wenn Du eine rechte Sache hättest, so würde Dir Deine Mutter dafür das nötige Geld schon geben. Es ist auch nicht schön von Dir, daß Du Deiner alten Nachbarin, der armen Susanna Keller, die von ihren paar Dochten leben muß, das Brot schmälerst. Ich bin sicher, Du hast ihr das Spulenstricken abgeschaut!“ Da schlich sich das Hausiererlein wie mit Ruten gezüchtigt von der Frau hinweg, am tiefsten brannte der gerechte Vorwurf, daß er und die Brüder eigentlich einen Diebstahl an der gutmütigen Nachbarin begangen hätten und sie an dem schädigten, was sie zum Leben bedurfte. So sehr schämte ich mich, daß ich im Heimatdorf mit meiner Ware nie wieder in ein Haus trat. Dafür wandte ich mich in ein Nachbardorf, das von lauter Bauern bewohnt, hoch über uns hinter einem Wald gelegen war. Dorthin ging die Susanna Keller wegen ihres bösen Beines nicht, niemand kannte mich dort, und wahrscheinlich fielen die Bauern vor Verwunderung schier um, wenn sie unsere kunstvollen Dochte sehen. Ich hatte schon ein halb Dutzend Häuser ohne sonderlichen Er¬ folg abgesucht, da kam ich zu einer Bäuerin, die ihre sauberen Augen wohl¬ wollend über den kleinen Krämer gleiten ließ. Im Augenblick kaufte sie mir zwanzig Schnüre ab. Ich war schon wieder am Gehen. Da sagte sie: „Gelt, ich hab 's erraten, Du gehörst doch dem Monteur Stöffi, ich erkenn Dich am Model.“ Nun war ich wieder der Ertappte. Sie aber fuhr fort: „Deinem Vater einen schönen Gruß. Er und ich haben uns einmal gern gesehen und daran, daß wir nicht zusammengekommen sind, ist keines von uns schuld.“ Sie war nun sehr lieb gegen mich, schenkte mir zu meinem heimlichen Verdruß, 66

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