Das erste Bild. Eine Weihnachtserinnerung Von j. C. Heer Vor fünfzig Jahren waren wir in dem alten, winkligen Haus, an dem der Fluß mit leisem Singsang vorüberrauscht, drei kleine Buben: Jakob, Heinrich und Emil, ich davon der älteste. In der Ferne stand schon Weihnachten. Da erreichte uns die merkwürdige Kunde, ein Mann in der Stadt namens Peter Stephan könne durch einen Guckkasten jedermann, der davor trete, lebensgetreu abbilden. Bald sahen wir ein Erzeugnis seiner Kunst. Unser sech¬ zehn= oder siebzehnjähriger Onkel Johannes, Mechanikerlehrling, hatte bei dem Photographen ein Bild von sich machen lassen, und darauf fehlte nicht einmal der Anflug von Schnurrbart, der den Jüngling zierte. Ueberrascht von der Wohlgetroffenheit des Konterfeis, erfaßte uns Jungen die Einbildung, daß es eine ganz besondere Freude für die Eltern sein müßte, wenn wir ihnen das unsere unter den Christbaum legten, alle drei auf einem Bild, und wie im voraus der Vater, der als Monteur manchmal lange vom Haus abwesend war, sein Ergötzen daran hätte. Ueberall, wo er unter fremde Menschen hinkäme, könnte er das Bild aus der Tasche ziehen und sprechen: „Das sind meine drei Buben!“ Von unserer eigenen Wichtigkeit und derjenigen unseres Weihnachts¬ planes überzeugt, berieten wir die schwere Frage: „Woher die Mittel für das Bild?“ Wenn wir unser Geheimnis bewahren wollten, mußten wir das Geld selber verdienen. Und ich fand den Weg. Es war noch die Zeit der Oellämpchen wie damals, da noch die klugen und törichten Jungfrauen der Bibel über die Erde wandelten. In unserer Nach¬ barschaft verdiente eine halbblinde Frau, Susanna Keller, ihr Brot damit, daß sie auf einem durchhöhlten Kork oder einer Fadenspule, der vier Messing¬ nadeln aufgesteckt waren, Dochte für die Lampen wob. Wir wurden gegen die ab, Alte, die uns wohl leiden mochte, zutunlich, schauten ihr das Geheimnis die wie man auf die Stecknadeln Maschen aufschlägt, die gestrickte Schnur durch in Spulen zieht, und entfalteten uns nun, ohne ihr unseren Plan zu verraten, aller Heimlichkeit selber als Dochtweber. Da ich aber nicht die geschickten Hände meiner Brüder besaß, so trafen wir die Arbeitsteilung, daß sie strickten und ich den Vertrieb der fertigen, schier fußlangen Dochte besorgte, alles unter der feierlichen Abrede, daß die anderen denjenigen, durch dessen Schuld etwa das Geheimnis verraten würde, dafür windelweich schlagen würden. In der Tat merkte die Mutter, die sonst scharfe Augen und feine Ohren für das Treiben ihrer Buben besaß, nichts von unserem Gewerbe. Wieviel Versteckenspiel aber war dazu erforderlich! Denn das Sichphoto¬ graphierenlassen war damals noch eine teure Sache; um die Kosten aufzubrin¬ gen, waren vierhundert Dochte notwendig. Viele strickten wir in den Weiden¬ stauden am Fluß versteckt; als das Wetter kälter wurde, auf dem Heustock der Großeltern, die meisten aber nachts in der Kammer hinter der Küche. Da 65 5
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