Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1951

mein Vater, da er auf einem Backen bereits glatt gekratzt war, „wie könnt denn mein kleiner Bub jetzt mitten im tiefen Winter in die Stanz gehen, ist ja völlig vier Stunden hinüber! „Freilich wohl“, versetzte der große Mann, „deswegen bin ich da. Er steigt mir auf den Buckel hinauf, tut die Füß auseinander, legt sie mir zu beiden Seiten an den Rippen nach vorn, wo ich sie anfaß, und mit den Händen halst er mich, daß er nicht mag rückwärts hinabfallen. „Versteh's schon“, drauf mein Vater, „ist nicht nötig, daß du mir das Buckelkraxentragen so auslegst.“ „Nu und nachher wird's wohl gehen, Waldbauer, und wenn der Sonntag¬ abend kommt, trag ich dir ihn wieder ins Haus.“ „Je nu, dasselb' weiß ich wohl, daß du mir ihn wieder redlich zurück¬ stellst“, sagte mein Vater, „und wenn die Drachenbinderin was will schreiben lassen und wenn du der Drachenbinderin ihr Knecht bist und wenn mein Bübel mit dir will — meinetwegen hat's keinen Anstand.“ Diese letzten Worte hatte er bereits mit glattem, verjüngtem Gesicht ge¬ sprochen. Eine kleine Weile nachher stak ich in meinem Sonntagsgewand; glückselig über die Bedeutung, die ich so plötzlich erlangt hatte, ging ich in der Stube auf und ab. Mir ließ es keine Ruhe mehr. Am liebsten hätte ich mich sogleich auf das breite Genick des großen Mannes niedergelassen und wäre davongeritten. Da kam erst die Mutter mit dem Sterz und sagte: „Esset ihn, ihr zwei, ehe ihr fortgeht!“ Als hierauf die Sache insoweit geschlichtet war, daß die Mutter den Sterz¬ trog über den Herd stülpen konnte, ohne daß auch nur ein Brosamchen heraus¬ fiel, da hüpfte ich auf das Genick des Mannes, hielt mich am Barte fest und ritt denn in Gottesnamen davon. Schon ging die Sonne unter; in den Tälern lagen bläuliche Schatten, die fernen Schneehöhen der Almen hatten einen mattroten Schein. Als mein Gaul über die kahlen Weiden aufwärts trabte, da trug ihn der Schnee, aber als er in die Gegend des jungen Lärchenwuchses und des Fichtenwaldes kam, da wurde die Bodenkruste trügerisch und brach ein. Jedoch darauf war er vor¬ gesehen. Als wir zu einem alten, hohlen Lärchenbaum kamen, der sein wildes Geäst recht keck in die Luft hinausreckte, hielt er an, langte mit einer Hand in die schwarze Höhlung und zog ein Paar aus Weiden geflochtene Fußscheiben hervor, die er an die Schuhsohlen band. Mit diesen breiten Sohlen begann er die Wanderung von neuem; es ging langsam, denn er mußte die Füße sehr weit auseinanderbiegen, daß er die Scheiben vermitteln konnte, aber mit solchen Entenfüßen brach er nicht mehr durch. Auf einmal, es war schon recht finster und die Sterne leuchteten klar, hub mein Gaul an, mir die Schuhe loszulösen, zog sie zuletzt gar von den Füßen und tat sie in seine aufgebundene Schürze. Dann sagte er: „Jetzt, Bübel, steck deine Pfötelein da in meine Hosentaschen, daß die Zehen nicht herabfrieren. Meine vorgereckten Hände nahm er in die seinen und hauchte sie mit dem warmen Atem an — was anstatt der Hand¬ schuhe war. An meinen Wangen kratzte die Kälte, der Schnee winselte unter den Scheiben — so ritt ich einsam fort durch den Wald und über die Höhen. Ich ritt über den ganzen, langen Grat des Hochbürstling, wo ich nicht einmal zur Sommerszeit noch gewesen war! Ich preßte zuweilen, wenn es schon ganz langsam ging, meine Knie in die Weichen und mein Gaul ertrug es willig und ging, wie er konnte, und er wußte den Weg. Ich ritt an einem Pfahle vorbei, auf welchem Winter und Sommer der heilige Viehpatron Erhardi stand. Endlich wendete sich der Lauf, ich ritt abwärts über Stock und Stein, einem Lichtlein zu, das unten in der Schlucht flimmerte. Bald darauf hub er mich auf einen Strunk und sagte: „Jetzt sind wir bei der Drachenbinderin ihrem Haus.“ Er machte an dem dunklen Hause eine Tür auf und ging hinein. In der kleinen Stube war ein Herd, auf dem ein Häufchen Glut lag, ein Kienspan, der brannte, und ein Strohlager, auf dem ein Kind schlief. Daneben 58

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