Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1951

Stie ich IIT. ü Brat Von Peter Rosegger Wenn mein Vater beim Rasieren saß, wenn er seine Backen und Lippen dick und schneeweiß eingeseift hatte, daß er aussah wie der Stallbub, welcher der Kuhmagd über den Rahm gekommen; wenn er dann das glasglänzende Messer schliff an seinem braunledernen Hosenträger und hierauf langsam da¬ mit gegen die Backen fuhr, da hub er an, den Mund und die Wangen und die Nase und das gute Antlitz derart zu verzerren, daß seine lieben, guten Züge schier gar nicht mehr zu erkennen waren. Da zog er seine beiden Lippen tief in den Mund hinein, daß er aussah wie des Nachbars alter Veit, der keine Zähne mehr hatte; oder er dehnte den Mund nach links oder rechts in die Quere, wie der Köhler=Sam tat, wenn sie (sein Weib) mit den Hühnern keifte oder er drückte ein Auge zu und blies eine Wange an, daß er war wie der Schneider Tinili, wenn ihn sein Weib gestreichelt hatte So auch war's einmal an einem Winterabend, daß der Vater beim Seifen¬ schüsselchen saß und ich unter dem Tisch, als sich draußen in der Vorlaube jemand den Schnee von den Schuhen strampfte. Gleich darauf ging die Tür auf und ein großer Mann trat herein, dessen dichter, roter Schnurrbart Eis¬ zapfen trug wie draußen unser Bretterdach. Er setzte sich gleich nieder auf eine Bank, zog eine bauchige Tabakspfeife aus dem Lodenmantel, faßte sie mit den Vorderzähnen und während er Feuer schlug, sagte er: „Tust dich balbieren, Waldbauer?“ „Ja, ich tu mich ein wenig balbieren“, antwortete mein Vater und kratzte mit dem Schermesser und schnitt ein wahrhaftig gottverlassenes Gesicht. „Na, ist recht“, sagte der fremde Mann. Und später, als er schon von Wolken umhüllt war und die Eiszapfen bereits niedertröpfelten von seinem Barte, tat er folgende Rede: „Ich weiß nicht, Waldbauer, wirst mich kennen oder nicht? Ich bin vor fünf Jahren einmal an deinem Hause vorbeigegangen und hab' beim Brunnen einen Trunk Wasser genommen. Ich bin von der Stanz, bin der Drachenbinderin ihr Knecht. Ich bin da um deinen Buben. Mir unter dem Tisch schoß es bei diesen Worten heiß bis in die Zehen hinaus. Mein Vater hatte nur einen einzigen Buben und der war ich. Ich duckte mich in den finsteren Winkel hinein. „Um meinen Buben bist da?, entgegnete mein Vater, „den magst wohl haben, den werden wir leicht entraten; halt ja, er ist gar so viel schlimm.“ Allein der Fremde sagte: „Nicht so, Bauer, gescheiter Weis'! Die Drachen¬ binderin will was aufschreiben lassen, ein Testament oder so was, und sie weiß weit und breit keinen zu kriegen, der das Schreiben tät verstehen. Jetzt, da hat sie gehört, der Waldbauer im Vorderschlag hätt' so ein ausbündig Bubel, dem solch Ding im kleinen Finger stecken tät; und so schickt sie mich her und läßt dich bitten, Bauer, du sollst die Freundschaft haben und ihr deinen Buben auf einen Tag hinüberleihen; sie wollt' ihn schon wieder fleißig zurückschicken und ihm was geben zum Lohn.“ Wie ich das gehört hatte, klopfte ich mit den Schuhspitzen schon ein wenig an den Tischschragen — das täte mir gleich nicht übel gefallen. „Geh“, sagte 57

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