Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1951

selben Stunde mit diesem Formular neuerlich zu erscheinen. Auf seinen be¬ scheidenen Einwand, es handle sich bei dieser Erkrankung um eine anscheinend gefährliche, sicher aber schmerzhafte Schwellung, legte ihm Dr. Barsch nahe, jegliche körperliche Ueberanstrengung, insbesondere Hochtouren, Fußballspiele und vor allem Geländeritte vorläufig tunlichst zu vermeiden. Im übrigen ver¬ wies er auf die bei fast allen Erkrankungen, ausnehmlich Starrkrampf, Far¬ benblindheit und Altersschwäche, überaus heilsame Wirkung des hyperman¬ ganhaltigen Gurgelwassers, das sich Pechvogel ja gegen nachträglichen Rück¬ ersatz der auflaufenden Kosten in der Ortsapotheke verschaffen könne. Pechvogel, dessen Geschwulst mittlerweile Farbe und Größe eines Herren¬ pilzes angenommen hatte, empfahl sich und verbrachte den laufenden Tag und einen Teil der Nacht damit, die geheimnisvollen Rubriken der vergessenen Drucksorte Kr 4 ordnungsgemäß auszufüllen, was ihm auch unter Zuziehung seines Dienst= und Standesausweises und sämtlicher Personaldokumente hin¬ reichend gelang. Da aber die Beisetzung der vom Vorstand zu fertigenden An¬ spruchsklausel noch etliche Schwierigkeiten bereitete, gelangte der bedauerns¬ werte Fahrdienstleiter, auf zwei Stöcke gestützt, erst am dritten Tage seiner Erkrankung wiederum vor Dr. Moritz Barsch. Seine Schwellung an der Bauch¬ wand hatte mittlerweile die Größe einer ungarischen Wassermelone erreicht, ein Umstand, der Dr. Barsch veranlaßte, eine sofortige Untersuchung vorzu¬ nehmen. Seine Diagnose ergab, daß es sich in diesem Falle zweifellos um eine deutlich sichtbare Anschwellung des in Rede stehenden Bauches handle, welch schmerzhafte Körperformveränderung in Hinsicht auf das maskuline Geschlecht des Patienten nur in einer Erkrankung ihren Ursprung haben könne. Bahnarzt Dr. Barsch erkundigte sich umgehend, ob nicht etwa des Patienten Urgro߬ mutter mütterlicherseits an spinaler Kinderlähmung gestorben sei, und über¬ zeugte den Kranken in einer längeren Ausführung, daß sein Zustand nach dem neuesten Stande der ärztlichen Wissenschaft wohl mit Lebensgefahr, keineswegs aber mit Infektionsgefahr verbunden sei. Bezugnehmend auf die Schwere des Falles riet er Pechvogel, sich in fachärztliche Behandlung zu begeben, und stellte ihm ungesäumt die hiezu vorgeschriebenen Bescheinigungen aus. Die Ordina¬ tion beschließend, gab er dem Kranken noch den freundlichen Rat, die auf im Krankenstand befindliche Mitglieder bezüglichen Sonderbestimmungen der Krankenordnung genauest einzuhalten, warnte ihn eindringlichst vor dem Be¬ suche nächtlicher Tanzunterhaltungen und vor der Annahme irgend einer hand¬ werksmäßigen oder gewerblichen Nebenbeschäftigung im Krankenstande und entließ den vor Schmerzen stöhnenden Fahrdienstleiter mit dem Wunsche bal¬ diger Besserung. Otto Pechvogel bewarb sich also sofort um die Ermächtigung zum Verlassen des Dienstortes und reiste am nächsten Tage in die Stadt. Ueber Anraten einer in dieser Stadt lebenden alten Tante, die als Vertragshebamme der Staats¬ bahnen in gewissen, nicht zu unterschätzenden Beziehungen zur Aerzteschaft zu stehen vorgab, wandte er sich an Facharzt Primarius Dr. Sensenmann. Dieser vielgenannte Arzt, dessen vor kurzer Zeit im Rahmen der Wiener Gynäkologen¬ tagung erschienene Broschüre „Rund um die Stillprämie“ viel und rühmend besprochen worden war, besah sich die unheimliche Geschwulst, erklärte aber sofort, er müsse in Hinsicht auf die Schwere dieses Falles unbedingt auf die Vornahme einer Konsiliaruntersuchung bestehen. Pechvogel, der vor Schmerzen an den Wänden des Ordinationszimmers alpine Kletterübungen vornahm, konnte sich diesem Wunsche nicht verschließen und begab sich daher zu seiner Stammdirektion, dort die wiederum im Punkt 14 der Krankenordnung vor¬ gesehene chefärztliche Bewilligung zur Vornahme einer Konsiliaruntersuchung einzuholen. Zwei Tage später stand er, die nötige Bewilligung in der Tasche, vor dem Konsilium, das sich aus drei Aerzten zusammensetzte. Diese drei Jünger Aeskulaps stellten nach langer Untersuchung einstimmig fest, daß eine örtliche Anschwellung der Bauchwand einwandfrei nachgewiesen erscheine und 40

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