Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1950

Schulmeisters! Tag und Nacht mühe ich mich ab; ich scheue keine Arbeit, um einige Groschen zu verdienen. Und doch kann ich dir nichts bieten, Maria, um dein Leben sonnig zu gestalten. 641 * — IITT 820 8 S1 13 Wie sehr sich Franz Gruber an der alten Orgel abmühte... „Schlägst du deine Liebe so gering an, Franz?“ die „Die hast du, wie zu der Zeit, da wir am Traualtar standen und ein Goldringe wechselten. Aber kannst du Freude mit mir vergrämten, durch ja. an Demütigungen reiches Leben verbitterten Gesellen haben? Dereinst, Was ich mir alles ersehnte und erträumte. Aber der Ernst des Lebens hat sich wie ein sengender Reif auf mich gesenkt und in der Düsternis meines Daseins seid nur ihr mir geblieben, du, gute Maria, und mein Kind!“ Eine Uhr schlug in tiefen, summenden Schlägen. „Leb wohl nun, Maria! Ich muß den Frühgruß läuten!“ sagte Gruber und nahm Mantel und Hut. „Will gleich versuchen, Mohrs Verse an der Orgel in Musik zu setzen. Ob ein leidvolles Herz die richtige Weise finden wird?“ Dämmer füllte noch die Kirche. Wie sehr sich auch Franz Gruber an der alten Orgel abmühte, er fand keine Weise, die für einen Weihnachtsgesang lieblich und weihevoll genug gewesen wäre. Wohl klang ihm leise eine wunderschöne, schlichte und doch unendlich seelenvolle Melodie ins Ohr. Oder erklang sie tief im Herzen? Huschten die Finger einer Fee über das zarte Saitenspiel seiner Seele? Er ließ sinnend die Hände von den Tasten gleiten und starrte hinab in das schattenstille Schiff des armseligen Gotteshauses. Es war ihm, als würde sich ein Schatten loslösen. Dort, in jener Nische, wo die schmerzhafte Mutter¬ gottes den marterzerschlagenen Sohn auf dem Schoß hielt. Und der Schatten nahm Formen an. Dem Schulmeister von Arnsdorf deuchte, er würde jene abgezehrten Züge sehen, auf welchen wie das Alpenglühen auf eisigweißen Frühgru߬ Firnen Fieberröte lag; jenes Gesicht, über das er sich vor dem so trüb, die läuten gebeugt, das er so lang und innig geküßt hatte. Die Augen starr! Lippen erblaßt, der Wangen Rosen verwelkt. Und das Antlitz so hallte und „Maria“, schrie er auf, daß es unheimlich durch die Kirchenstille fuhr sich der Junge, der den Blasbalg trat, verwundert aufblickte. Gruber Phantasie mit der Hand über die Augen und das Bild, das seine erregte gezeugt, verschwand. Wieder griff er in die Klaviatur. KlagendeMolltöne quollen unter seinen Fingern hervor, düstere Melodien, ergreifend sein Leid wiederspiegelnd. Das war die Weise nicht, die zu den einfachen, innigen Wor¬ ten seines Freundes Mohr paßte; keine herzjubelnde Weihnachtsweise, ein Grabgesang war's, der sich beklommener Brust entringt, wenn der Sturm des Lebens die duftigsten Maiblüten vom Baum unseres Daseins abschüttelt. 85

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