Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1950

nähe mir diesen Aermling zusammen!“ So tat ich — aber es ist leichter ge¬ sagt als getan. Da staken im Kissen an die dreißig Nadeln aller Größen, da lagen Zwirnknäuel verschiedener Feine und Farbe. Und die beiden Teile des Aermlings, wie werden sie behandelt und zusammengetan? Ich warf fragende Blicke auf den Meister. Er tat nichts dergleichen, als wisse er mehr als ich. So hub ich denn an. Ich fädelte ein und legte den Loden aufs Knie und machte einen Stich. Der Faden schlüpfte durch. Der erste Stich war mi߬ lungen. An den Wangen tief erglühend, forschte ich der Ursache nach und kam endlich drauf, daß von mir vergessen worden war, in den Faden ein Knöt¬ lein zu machen. Ich schlug also mit großer Mühe ein Knötlein und beschäftigte all' meine zehn Finger dabei. Hierauf nähte ich mit Erfolg, aber auch mit Hindernissen. Es verwand und verdrehte sich der Zwirn, es staute sich die Nadel am Finger, es verschob sich der Loden und ließ sich mit jedem Zug Mittlerweile kam der hoch in die Lüfte ziehen, es riß sogar der Faden. — alte Alpelhofer in die Stube und rief: „Zum Dunner (Donner), jetzt ist ein junger Schneider herkommen!“ „Ja“, sagte mein Meister. Wie mir das Wörtlein wohlgetan hat! Im Vollbewußtsein meiner Ungeschicklichkeit hatte ich von Minute zu Minute er¬ wartet, daß der Meister mich fortschicken werde; aber dieses Ja war wie eine Anerkennung und Einsetzung. „Das ist brav“ sagte der Alpelhofer und ging wieder davon. Als ich ein paar Stunden so herumgenäht hatte, ohne daß mein Meister auch nur eine Silbe zu mir gesprochen hätte, und als ich endlich mit dem Aermling fertig zu sein wähnte und mit dem Auge fragte, was nun zu beginnen sei, bis auf den letzten antwortete er: „Jetzt trenne den Aermling wieder auf — Stich alles auf und ziehe die Fäden sauber aus. Achtung geben mußt nur, daß du den Loden nicht anschneidest.“ Und als ich dies mit Angst und Schmerz getan hatte und die Teile des Aermlings wieder so dalagen, wie sie mir der Meister in die Hand gegeben hatte, ließ dieser von seiner Arbeit ab und sprach zu mir folgendes: „Waldbauernbub! Ich hab' nur sehen wollen, wie du die Sach' angreifst. Just nicht ungeschickt, aber den Loden muß man zwischen Knie und Tischrand einzwängen, sonst liegt er nicht still. Später, wenn du's einmal kannst, wird er wohl auch ohne Einzwängen stilliegen, so wie bei mir da. Auf den Finger, mit dem du die Nadel eindrückst —das ist der mittlere, der lange, — mußt du einen Fingerhut stecken, sonst kriegt deine Haut gerade so viele Löcher als der Loden. Den Zwirn mußt mit Wachs glätten, sonst wird er fransig und reißt. Die Stiche mußt im Loden machen, daß einer über dem anderen reitet, das heißt man Hinterstiche — sonst klafft die Naht. Und die Teile mußt du allemal so zusammennähen, daß du sie nicht wieder voneinander zu trennen brauchst, wie dasmal. Und gibt es schon doch einmal zu trennen, so mußt du kein saures Gesicht dazu machen, mein lieber Waldbauernbub. Emp¬ findsam sein, das leidet unser Handwerk nicht. Jeder Ochsenknecht wird dich meistern und jeder Halterbub wird dich ausspotten und wird dich fragen, ob du wohl das Bügeleisen bei dir hättest, daß dich der Wind nicht verträgt, und wird, so lang er deiner ansichtig ist, wie ein Ziegenbock meckern. Lass' ihm die Freud' und geh' still und sittsam deiner Wege. Ein gescheiter Mensch chämt sich nicht seines ehrlichen Handwerks und ein dummer vermag es nicht zu lernen. Der Schneider studiert nie aus; jede Kundschaft hat einen andern Leib, jedes Jahr hat eine andere Mode; da heißt's nicht gerade Zu¬ schneiden und Nähen, da heißt's auch denken, mein lieber Waldbauernbub. Aus dem tüchtigen Schneider ist schon manch ein hoher Herr hervorgewachsen. Der große Feldherr Derfflinger, der Wiedertäuferprophet Johann von Leyden sind Schneider gewesen; in Amerika gibt es sogar eine Gattung von Schnei¬ dern, welche Präsidenten von den Vereinigten Staaten werden. Ich hab' ein 77

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