unendlich weite öde Heide zu sehen, auf die die Tropensonne brenne, ohne Busch und Strauch, nur die Vogelwürstel seien die höchsten Bäume dieser Gegend. Und erst die Fische in Italien! So schmackhafte gäbe es nur dort, agte er. In Saradustra, oder wie das Nest sonst hieß, hatte er in einem großen Oelaquarium dressierte Oelsardinen gesehen, die im Kreise herum¬ schwammen. Wenn der Tierbändiger mit der Peitsche schnalzte, hätten sich alle umgedreht und seien verkehrt geschwommen. Noch überwältigender sei die staatliche Sardellenzüchterei gewesen. Zweimal täglich werden tausende Sar¬ dellen gemolken und aus der Milch Butter gemacht. So eine frische Sardellen¬ butter sei ein Gedicht! Er schnalzte des öfteren mit der Zunge und schilderte in lebhafter Art den süffigen Vino santo, die glutäugigen, rassigen Frauen und wie herrlich sie gebaut seien — die Paläste und Kunstdenkmäler. Und vieles andere mehr. Nach einer guten Stunde schloß er in höchster Ekstase, in¬ dem er erklärte, daß jedermann sich dieses Vergnügen leisten könne, denn alles zusammen (wir schreiben das Jahr 1930) koste nur 200 Schillinge. Ich lebte mich in diese Erzählung so hinein, daß ich bei Schilderung der Tropensonne einen gewaltigen Durst bekam. Ich stürzte in Eile einige Krügel Bier hinunter. Bei den Erzählungen von den Meereswogen verspürte ich be¬ reits einen Brechreiz; jedenfalls ein Vorgefühl der Seekrankheit. Einen be¬ sonderen Eindruck machten auf mich der Vino santo und die rassigen Weiber. Für diese Sachen zeigte ich schon immer ein Kunstverständnis. Im Geiste sah ich mich schon in einer italienischen Stehweinhalle sitzen und hörte, wie mir die Signorinas auf Italiano Liebeslieder ins Ohr sangen. „Bravo, bravo, Signor Spezi! Aus meinen Träumereien wurde ich plötzlich durch das unheimliche Schweigen, das um mich herrschte, aufgeschreckt und nun gewahrte ich erst, daß aller Augen auf mich gerichtet waren. Ich fühlte, daß die Entscheidung zwischen Schwechater Lager und Italienreise jetzt fallen mußte. So nahm ich denn mein Glas in die Hand und richtete ungefähr folgende Ansprache an die Versammelten: „Meine Herrschaften! Ihnen allen ist es vergönnt, Zeuge des großen historischen Momentes zu sein, wo ich den letzten Tropfen Bier trinke. Ich werde nächstes Jahr nach Italien fahren! Ich beende mit diesem schäbigen Rest eine verfehlte Lebensperiode, um eine schönere, vernünftigere zu beginnen mit dem begeisterten Rufe: Evviva Italia!“ Alles stimmte ein. Es war sehr schön und feierlich. Meiner Frau standen dieTränen in den Augen. „Und wirst du morgen diesen edlen Vorsatz nicht wieder vergessen haben?“ forschte sie zaghaft. „Aber Kind!“ entrüstete ich mich, „ein Mann ein Wort! Und sollte ich wirklich einmal vergessen, dann bitte nur „Evviva Italia“ zu rufen. Ich muß diese 200 Schillinge zusammenbekommen.“ „Vierhundert Schillinge kostet es, Papa“, wendete meine Frau berichti¬ ein. gend „Aber nein mein Kind“, entgegnete ich ahnungslos, „der Verehrteste doch ausdrücklich zweihundert Schillinge.“ sagte „Das ist schon richtig! Für eine Person. Aber ich fahre doch auch mit dir. Da gab es mir einen Stich. Ich glaubte momentan, ich bekäme die Schnackerlfraisen. Es ist doch auch zu viel verlangt, daß ein Mensch ein Jahr lang „abstinieren“ soll, um dann mit seiner Frau, der eigenen Frau nach Italien reisen zu können. Noch dazu, wenn man mit ihr schon 15 Jahre ver¬ heiratet ist. Ja, wenn es erst 15 Tage wären! Das wäre natürlich wieder etwas ganz anderes. Aber so! In meiner Verwirrung nahm ich der Kellnerin, die gerade mit frisch gefüllten Bierkrügeln vorbeiging, ein solches weg, um mich auf diesen Schrecken hin wieder ein wenig zu stärken. Kaum hatte ich das Glas angefaßt, durchbrauste ein vielstimmiges „Evviva Italia“, einem 114
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