und die Rinder füttern für den ganzen Tag, da niemand daheim sein würde und jetzt sollte er sagen, wo er gestern in seiner Wirrnis den Uebertan hin¬ gelegt hatte. — Und in den nächsten Minuten trugen sie sein Weib aus dem Hause. Alles kam in Aufregung. „So hat der Alte keinen Uebertan“ murrten sie, „das hat man auch noch nicht gesehen, daß eine Totentruhen nackt und bloß davongetragen wird, aber bei der armen Waldbäuerin muß es wahr sein: elend gelebt und elend gestorben!“ Auch die beiden Schwestern huben zu suchen an und Maria rief klagend: „Jesus mein, ohne Uebertan darf mir meine Mutter nicht begraben werden; da muß sie noch liegen bleiben daheim und ich gebe mein Kresengeld (Paten¬ geschenk) und kaufe ihr das letzte Kleid. Wer hat die Leinwand weggetan? O Gott, jetzt wollen sie ihr das Allerletzt' auch noch versagen!“ Ich suchte das Mädchen zu beruhigen und wir würden im Dorfe draußen schon eine Leinwand bekommen, und wenn nicht, so ruhe sie auch unter bloßem Tannenholz in Frieden. „Du kannst so reden!“ rief sie, „hat dir die Mutter seiner Tage nicht auch die Kleider gekauft von ihren blutig ersparten Kreuzern? Und jetzt soll sie auf¬ erstehen am Jüngsten Tage in ihrem armen Gewande, wo alle anderen ein weißes Kleid tragen!“ In ein lautes Weinen brach sie aus und lehnte ihre glühende Stirne an die Wand. Aber bald darauf war ein Aufatmen unter den Leuten, der Uebertan hatte sich gefunden. Und als gegessen war — wir genossen keinen Bissen — und alles bereitet war, da machten sie die Tür auf in die Vorlauben hinaus und knieten nieder vor dem Sarg und beteten laut die fünf Wunden Christi. Dann stellten vier Männer den Sarg auf die Trage und huben ihn auf und trugen ihn aus der armen Menschenwohnung im Walde und davon über die Heiden und Wiesen und durch hohe Wälder. Und ringsum war die Winternacht und über alles lag der Sternenhimmel. Noch einen Blick auf das leere Bahrbrett, dann zog ich rasch meinen kleinen Bruder mit fort und Vater und Schwestern eilten auch nach und der ältere Bruder verschloß die Tür und nun lag die Waldhütte da in der Dunkel¬ heit und in der tiefsten Stille. Das Leben war fort, der Tod war fort —eine größere Einsamkeit kann nicht mehr sein. Man hörte das Summen des betenden Leichenzuges, man sah das Flim¬ mern der wenigen Laternen zwischen den Baumstämmen. Die Träger gingen mit schnellem Schritte, die Beter konnten schier nicht nachkommen auf dem holprigen Schneepfade. Ich war mit dem kleinen Bruder weit zurückgeblieben, der Knabe konnte so schnell nicht vorwärts. — Im Leben hätte uns die Mutter nie so zurückgelassen, da hätte sie gewartet, ein wenig lächelnd und ein wenig grollend, und den Kleinen an der Hand geführt. Jetzt verlangte sie schon nach der Ruh'. Vor dem Pfarrdorfe am Wege steht ein hohes Kreuz mit dem lebens¬ großen Bilde des Heilands. Hier setzten sie nach stundenlangem Wallen vom Gebirge her den Sarg zu Boden und warteten auf den Arzt, der aus dem Dorfe kam zur Totenbeschau. Aber als wir zwei Zurückgebliebenen nach¬ kamen, da war der Sargdeckel bereits wieder festgehämmert. — So sollte ich dich denn nimmermehr sehen auf dieser Erde, meine Mutter! — Im Dämmerlichte der Morgenröte zogen sie zur Pfarrkirche ein. Die Glocken klangen hell zusammen. Mitten in der dunklen Kirche war ein hoher Sarkophag aufgerichtet, es strahlten viele Kerzen und es begann ein 88
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2