dem Stalle und von der halbmorschen Decke tropfte es nieder auf mein Stroh¬ lager. Voreinst — ja, da zitterten wohl auch die Tropfen nieder, die Tautropfen von den Bäumen, als dich die Mutter zur ersten Kommunion führte. Du hast ein neues Jöpplein an und auf deinem Hut steckt ein frischer Rosmarin. Ueber dem Brustfleck am Halse schaut das schneeweiße Hemdchen heraus und die Wangen sind rosenrot vor lauter Waschen. Die Mutter hat ein hellfarbiges Kleid, ein braunes Vortuch und eine schwarze, knapp anliegende Joppe an. Das breite Halstuch ist von roter Seide und leuchtet wie Glut und Flamme. Auf dem Haupt trägt sie eine hohe, kostbare Goldhaube, wie sie damals Mode war im ganzen Lande; und an beiden Seiten der Stirne gucken die Locken hervor, schwarzglänzend wie die zwei großen Augensterne und zart und weich wie die Wimpern an den Lidern. Die Wangen sind angehaucht von dem Morgenrote, das Kinn ist weiß und lieblich gebogen. Die roten Lippen lächeln ein wenig und grollen dabei, weil du gar so vorwitzig hüpfest, Kleiner, über die Steine und Baumwurzeln und dabei die Nägel aus den Schuhen trittst. Aber in ihrer blühendsten Schöne hat noch kein Kind seine Mutter gesehen; und doch, wie ist es so lustig, Knabe! Da glitzert es im Wald und leuchtet in den grünen Lärchenbäumen und da duftet das Blühen und die Vöglein singen auf allen Wipfeln. Kindeszeit! Maienzeit! Dumpfe Schläge weckten mich aus meinem Traume, ich fuhr empor. Jetzt legen sie die Mutter in den Sarg, jetzt hämmern sie den Deckel darauf. Ich stürzte aus dem Stalle und in das Haus. Da stand in der Lauben der weiße, schlanke, zugedeckte Sarg und die mattflackernde Oellampe beleuch¬ tete nur mehr das leere, öde Bahrbett. ... Ich hätte sie gern noch einmal gesehen. Die Leute bereiteten die Trage. Der Vater kniete hinter der Tür und betete; die Schwestern weinten in ihre Schürzen und der kleine Bruder schluchzte so sehr. Ach, er wollte das Weinen zurückhalten; hatte er doch gehört, ür die Mutter sei es am besten so und sie sei nun in der himmlischen Freude — er hatte ein bißchen gelächelt dazu, aber nun, da sich die Leute anschickten, die Mutter hinauszutragen und fort für alle Ewigkeit, war der Trost ver¬ gessen in dem kleinen, bedrängten Herzen. Ich nahm das Brüderlein an der Hand und wir gingen in die dunkle, hinterste Ecke der Stube, wo sonst niemand war, wo nur die kranke Mutter gern gewesen. Dort setzten wir uns auf die Bank. Und dort saßen wir, wäh¬ rend draußen alles vorbereitet wurde, während sich die Leute zu Tisch setzten das Totenmahl verzehrten. und Sie waren gekommen, um Leid zu tragen mit uns; jetzt aßen sie, jetzt lachten sie und dann taten sie wieder wie's Gebrauch war. Plötzlich wurden draußen laute Worte gesprochen: „Wo ist der Uebertan? Wir finden den Uebertan nicht!“ Der Uebertan ist ein dünnes Leinengewebe, welches als ein Schleier über den Sarg gehüllt wird und nach dem Glauben des Volkes am jüngsten Tage dem Auferstehenden als Ueberkleid dient. Der Vater wurde durch den Ruf von seinem Gebete aufgeschreckt; jetzt torkelte er herum und suchte die Leinwand in seinem Kasten, auf den Wand¬ stellen und in allen Winkeln. Er hatte sie ja gestern nach Hause gebracht und jetzt war sie nirgends zu finden. Er wußte auch nicht, wo ihm der Kopf stand jetzt sollte er sorgen, daß alle zum Mahle kämen, jetzt sollte er sich umkleiden zum Kirchgange, jetzt sollte er seine Kinder beruhigen, jetzt sollte er eine frische Kerze auftreiben, weil die alte schon auf den Grund gebrannt war und die Leute in das Finstere zu kommen drohten, jetzt sollte er gar in den Stall gehen 87
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