Leben ist kurz gewesen. Kinder, das sag' ich euch, jeder hat keine solche Mutter, wie die euere ist gewesen. Für dich, Peter, hätt' sie schier das Leben aufopfern müssen, wie du bist auf die Welt gekommen. So sind sie drauf gekommen nach¬ einander die Freuden und Leiden, die Sorg' und Not — das Elend! Und wie ich krank gewesen bin auf den Tod und die Aerzte all' gesagt haben, ich müßt fort, es gäb' kein Mittel, hat mein Weib die Hoffnung nicht aufgegeben, hat mich nicht verlassen. Tag und Nacht ist sie bei mir gewesen, hat auf ihren Schlaf vergessen und auf ihren Bissen Brot. Schier mit ihrem Atem hat sie mir das Leben eingegossen — mein gutes Weib. Die Stimme wollte ihm brechen, mit dem Rockärmel wischte er sich das Nasse aus den Augen. „Was eine gute Wartung ist, das sollt' eins nicht glauben“ fuhr er fort, „gesund bin ich wieder worden. Wir haben fortgelebt in der Treu'; daß du, Peter, in der Fremde dein Glück hast gefunden, das ist deiner Mutter größte Freud' gewesen. Wie sie krank und sterbend ist gelegen an die sechs Jahre und drüber, wie sie uns haben hinausgestoßen aus unserm Haus, wie das schlechte Gered' ist gewesen, und wie wir doch das größte Vertrau' gehabt haben zu euch Kindern, das wisset ihr ja selber. Völlig dreißig Jahr sind wir beisammen gewesen im Ehestande. Allweg hab ich gebetet, mich sollt' der lieb' Gott zuerst Müsset nicht so weinen, nehmen, jetzt hat er sie doch noch lieber gehabt. Kinder, ihr seid eurer Mutter beigestanden.“ Weiter sprach er nicht. Als der Sarg gezimmert war, legte der Vater Hobelspäne als Hauptkissen hinein. Er hatte immer die Gewohnheit gehabt, daß er nach getaner Arbeit zu einem Weibe ging und sagte: „Jetzt bin ich fertig.“ Als er nun die Hobelspäne zurecht geschichtet und auch die übrigen Vorbereitungen getan hatte, ging er in die Lauben zur Bahre und sagte: „Jetzt bin ich fertig. Am späten Abend, als auf dem tiefdunklen, klaren Himmel der Halb¬ mond stand und sein Dämmerlicht ergoß über die Wälder und schneeschimmern¬ den Auen und über das Waldhäuschen am Hange, da winselte allfort der Schnee am Wege, da kamen aus den Bauernhöfen und fernen Hütten Leute herbei. Wenn sie auf den Wegen, die sie gekommen, auch laute, heitere Ge¬ spräche miteinander geführt hatten, so wurden sie doch jetzt, da sie dem Häus¬ chen nahten, schweigsam und man hörte nur das Knistern ihrer Tritte im Schnee In der kleinen Vorlauben, die durch das Lämplein matt beleuchtet war, kniete jeder hin auf den kalten Lehmboden und betete still vor der Bahre und besprengte sie dann mit Weihwasser. Hernach ging er in die Stube zu den anderen, die da um den Tisch und Ofen herumsaßen, Lieder sangen und geist¬ lichen Betrachtungen oblagen. Sie waren alle da, um die arme Häuslerin zur letzten Ruhestätte zu begleiten. Ich hätte, wären die Leute nicht dagewesen, allfort an der Bahre stehen und die Mutter ansehen mögen. Ich las in ihren Zügen meine Kindheit und meine Jugend. Ich meinte, noch einmal werde sich das klare Auge öffnen und mich anlächeln, noch einmal werde mir das Wort fließen von diesen Lippen, das in ihrer Liebfreude so weich und herzensreich war gewesen. Aber wie ich auch ihr lieber Sohn gewesen war und wie lange ich noch stehen mochte bei — ihr sie schlief den ewigen Schlaf. Ich ging in die niedere Küche, wo die Nachbarinnen das Totenmahl koch¬ ten, ich suchte im Rauche herum die Geschwister, auf daß ich sie tröstete. Drin in der Stube war jetzt alles mäuschenstill und in großer Spannung. Der alte Jäger Matthias, der ein braunes Hemd und einen weißen Bart trug, saß am Tische und erzählte eine Geschichte. 85
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