Da wußten sie's gleich, es war die Mutter gestorben. „Willst du sie anschauen“, fragte mich jetzt die Schwester. Dann trat sie an das Haupt der Bahre und hob langsam das Leintuch. Ich sah meine Mutter, noch auf ihrem erstarrten Antlitz lag das Heil. Die Last war weg von meinem Herzen, erleichtert und getröstet, als ob ich auf eine weiße Blume blickte, schaute ich die lieben Züge. Das war ja nicht mehr das arme, kranke, mühselige Weib, das war das von einem Strahle aus längst vergangenen Jugendtagen verklärte Gesicht. Sie lag im Schlummer und war gesund. Sie war wieder jung und weiß und milde, sie lächelte ein wenig, wie sie es gern tat, wenn sie auf den kleinen, lustigen Knaben blickte, der sich mit seinen Spielzeugen zu ihren Füßen herumtrollte. Die dunklen, glänzenden Haare ( sie hatte noch kein graues) waren ihr sorgsam gewunden und guckten an den Schläfen etwas hervor aus dem braunen Kopftuche — wie sie's immer gern hatte, wenn sie an den Festtagen zur Kirche ging. Die Hände hielt sie gefaltet über die Brust mit dem Rosenkranze und dem Wachsstocke. Als wie wenn sie eingeschlummert wäre in der Kirche am Pfingstsonntage während des freudenreichen Hochamtes, so iag sie da und noch im Tode tröstete sie ihr Kind. Aber an den rauhen Händen sah man's wohl, daß die Schlummernde durch ein mühevolles Leben geführt worden war. So standest du vor diesem heiligen Bilde — fast so still und regungslos wie die Ruhende. Endlich flüstertest du zu dem leise weinenden Schwesterlein: „Wer hat ihr die Augen zugemacht? In der Stube erschallten Hammerschläge. Der Schreiner zimmerte das letzte Haus. so Endlich hüllte Maria das Leintuch wieder über das Haupt, so sanft, sorglich, wie sie hundert= und hundertmal das Mütterlein zugedeckt hatte in der langen Zeit des Siechtums. Dann trat ich in die kleine, warme Stube. Der Vater, die ältere Schwe¬ ster, die beiden Brüder, wovon der jüngere noch ein Knabe war, traten mir betrübt entgegen. Sie sagten kaum ein Wort, sie reichten mir die Hand, bis auf den Kleinen, der duckte sich im Ofenwinkel und man hörte sein Schluchzen. Der Zimmermann=Sepp hobelte gleichmütig an dem bereits zusammen¬ gefügten Sarg und rauchte dabei eine Pfeife. Später, als draußen schon die Schatten des Nachmittags gewachsen waren weit über die schneeglitzernde Wiese hin, als in der Stube der Sepp auf den Deckel des Sarges das schwarze Kreuz zeichnete, saß der Vater neben demselben und sagte leise: „Wie's Gott will. — Jetzt hat sie doch wieder ein eigenes Haus. Am ersten Tage nach der Mutter Sterben war kein Feuer gemacht wor¬ den auf dem Herde der Hütte. Allmiteinander hatten sie vergessen, daß der Mensch zum Morgen, zum Mittag wohl eine warme Suppe ißt. Hingegen war auf dem Anger hinter dem Häuschen ein hellflammendes Feuer ange¬ zündet, um das Bettstroh zu verbrennen, auf welchem sie gestorben war. Wie voreinstmal die Vorfahren ihr Wuotansfeuer haben entfacht, den teuren Verstorbenen der Göttin Hel, der Bergenden, empfehlend. Ich hatte mich auf die Bank gesetzt und das Brüderchen zu mir empor¬ gehoben. Der Kieine blickte völlig furchtsam zu mir auf, ich hatte einen schwar¬ zen Rock und eine weiße Halsbinde um, ich kam ihm so vornehm vor. Seine kleine Hand, die auch schon Schwielen hatte, hielt ich in der meinen. Dann bat ich den Vater, daß er etwas erzähle aus dem Leben unserer Mutter. „Wartet ein wenig“, antwortete der Vater und sah wie träumend der Zeichnung des Kreuzes zu. Endlich tat er einen tiefen Atemzug und sagte: „So, jetzt wär's fertig. Wohl lang' hat ihr Kreuz und Leiden gedauert, aber das 84
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