„Wo sollt ein's jetzt eine warme Suppe hernehmen; ist schon lang kein Feuer mehr auf dem Herd.“ So der Bescheid. Da machte sich der Fuhrmann selber dran, Feuer zu schaffen, Milch zu suchen und zu kochen. Die Mutter aß nur ein Weniges von der Suppe, schob die Schüssel uns zu, daß auch wir was Warmes bekämen. Als all das vorbei war, gab der Steffel dem Weib einen Silberzehner — „ für die Milch und für das Heu, welches der Fuchs fraß. Nach einer Stunde, während es in der Stube ein paarmal schier finster geworden war, weil draußen Wolken vor die Sonne zogen, trat der Steg¬ thomerl endlich in die Stube. Es war ein kleiner, dünnbeiniger Mann, der aber einen großen Kopf, breite Achseln, eine sehr hohe Brust und einen tüch¬ tigen Höcker hatte. Und der Kopf war in die Schultern gebohrt, so daß sich das Männlein allemal mit dem ganzen Körper umkehren mußte, so oft es den Kopf wenden wollte. Ich sehe ihn heute noch lebhaft, wie er zur Türe herein¬ trat und uns mit seinem weitläufigen, verdunsenen Gesichte zuerst scharf, dann lächelnd ansahl Meine Mutter war sogleich unruhig geworden und suchte sich von ihrem Sitze zu erheben, um ihm ehrerbietig ihr Anliegen vorzutragen. Der Thomerl winkte mit der Hand, sie möge das lassen, und sagte her¬ nach mit etwas lallender Stimme: „Ich weiß schon, du bist die Waldbäuerin aus dem Alpel, dich hat vor einem Jahr der Schlag getroffen.“ „Der Schlag hat mich getroffen?“ fragte die Kranke mit Schrecken. „Hast weit und breit herumgedoktert und jetzt, weil dir sonst keiner helfen kann, kommst du zu mir. Ist allemal so, versterbend kommen sie, und wenn nachher dem Stegthomerl seine Arznei nicht Wunder wirkt und der Kranke draufgeht, so heißt's dann: der Stegthomerl hat ihn umgebracht.“ Diese Worte waren an und für sich ganz schrecklich zu hören, doch waren sie noch erträglich, weil sie mit lächelnder Miene gesagt wurden und weil der Thomerl nun beisetzte: „Verhoff's, daß es mit dir noch eine Ausnahme hat, Waldbäurin. Ich werde dich jetzt untersuchen.“ Fürs erste, selbstverständlich, fühlte er ihr den Puls. „Der hupft“ mur¬ melte er, „der hupft“. Dann zog er ihr mit seinen breiten Fingern die Augen¬ brauen auseinander und guckte auf das Weiße hinein — und sagte nichts. Hierauf mußte sie den Nacken entblößen und er legte sein Ohr dran — und sagte nichts. Ferner betrachtete er mit großer Aufmerksamkeit die Linien in der inneren Handfläche, erkundigte sich dann nach dem näheren Befindender Kranken und fuhr fort, die Pulsadern und die Atemzüge zu untersuchen, so daß ich von der Gewissenhaftigkeit dieses Mannes sofort eine hohe Meinung gewann. Und als er mit der Untersuchung fertig war, setzte er sich meiner sich +0 E langsam wieder in ihre Tücher hül¬ lenden Mutter gegenüber auf einen — Stuhl, spreizte die Beine aus, bohrte 74 sein Kinn in seinen Rumpf und, die Arme über der Brust gekreuzt, sagte er: „Ja, meine liebe Waldbäuerin, du mußt sterben.“ Meine Mutter zuckte leicht zusam¬ men, ich sprang auf. Der Steffel aber — blieb ganz gelassen auf seinem Platz sit¬ * 1 zen, schaute eine Weile starr auf den Stegthomerl u. sagte plötzlich: „Mußt Ferner betrachtete er mit großer Aufmerksam keit die Linien in der inneren Handfläche. du nicht auch sterben? Nein, du wirst Zeichnung von Jörg Reitter d. J. hin, altes Kamel, gottverfluchtes!“ 80
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