Aus einem Herenbüchlein Die heutige Welt weiß kaum mehr, wie man das Hexen angeht. Die köstlichsten Rezepte für das Vollbringen von Zauberdingen sind verloren ge¬ gangen. Dem Schreiber dieser Zeilen fiel aber so ein altes Zauberbüchlein in die Hand. Daraus sei nun einiges hervorgehoben. Der Titel besagt in großen Buchstaben: „Die Kunst der Zauberey. Leicht und lehrreich für männiglich dargestellt.“ Die einzelnen Abschnitte tragen Ueberschriften. So beispielsweise: „Einen Stecken zu schneiden, daß man Einen damit prügeln kann, wie weit auch selber entfernt ist.“ Da heißt es dann: „Merke, wenn der Mond neu wird, an einem Dienstag, so gehe vor Sonnenaufgang. Tritt zu einem Stecken, den du zuvor schon ausersehen hast, stelle dich mit seinem Gesicht gegen Sonnenaufgang und sprich diese Worte: Stecken, ich greife dich an im Namen Gottes Vaters, des Sohnes und des hei¬ ligen Geistes. Amen. — Nimm dein Messer in deine Hand und sprich wie¬ derum: Stecken, ich schneide dich im Namen... Daß du mir sollst gehorsam sein, welchen ich prügeln will, wann ich einen Namen anrede. — Darnach schneide auf zwei Orten den Stecken etwas hinweg, damit du kannst diese Worte darauf schreiben oder schneiden: „Abia, ubia, fabia!“ Lege einen Kittel auf einen Scherhaufen (Maulwurfshügel), schlage mit deinem Stecken auf den Kittel und nenne des Menschen Namen, welchen du prügeln willst. Und schlage tapfer zu, so wirst du denselben ebenso hart treffen, als wenn er selber dar¬ unter wäre, und doch viele Meilen von dem Ort ist. Ohne den Scherhaufen tut es auch die Schwelle unter der Tür, wie ein Schäfer von Arnoldstein an einem Edelmann die Probe gemacht.“ Um jemanden kraftlos zu machen, hat man zu sprechen: „Ich tue dich an¬ hauchen. Drei Blutstropfen tu ich dir entziehen: den ersten aus deinem Her¬ zen, den andern aus deiner Leber, den dritten aus deiner Lebenskraft.“ Hat man Lust zu dem Versuche, Feuer ohne Wasser zu löschen, so lautet das zau¬ berkräftige Sprücherl: SATOR AREPO TENET O PERA ROTAS Durch Nacheinanderlesen aller ersten, dann aller zweiten, dritten, vierten und fünften Buchstaben wird man sich überzeugen können, daß man es mit einem magischen Quadrat zu tun hat. Das Büchlein enthält weiter ausgiebige Belehrungen, wie irgend jemand einen Reiter samt Pferd sogleich anhalten, wie er boshafterweise den Kühen die Milch entziehen, „ein besonderes Stück gestohlene Sachen wieder herzwingen“, Vieh und Menschen kurieren und wie er an einem Tage nicht sterben kann, wenn er vor dem ersten Hahnenschrei einige unfehlbare Mittel hiefür in Anwendung gebracht hat. Auch enthält das Büchel ein Stücklein, durch das man einer mißliebigen Person das Leben „abbeten“ kann. Heute belächelt man diesen Aberglauben. Seinerzeit aber, und es ist noch nicht zu lange seither, glaubte man fest und steif daran. Aber noch ein Wort an dich, mein lieber Leser! Aetze nicht mit Spott, woran Jahrtausende im Gemüt gebaut haben. Urteile nie geringschätzig, bevor du die Schatzkammern der Volksseele dir erschlossen hast. Du würdest ansonsten die Saiten eines Harfenspieles verwirren, das meist rein und voll getönt und dessen Klang jedes empfänglichfrohe Herz gerne lauscht. 165
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