Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1949

Grehrer Sichterabens Am 5. Mai 1948 veranstaltete das Kulturamt einen „Steyrer Dichter¬ abend“. Professor Anton Neumann hielt nachstehenden Einführungsvortrag: Immer noch begegnet man in Urteilen über die Kleinstadt der Meinung, diese sei so eine Art Hinterwäldlertum, ohne eigenes geistiges Leben, eng und beschränkt im Urteil, mit geringen Bildungsmöglichkeiten, ein mehr oder we¬ niger dumpfes Vegetieren, kurz, die Bezeichnung Provinz= oder Kleinstadt hat einen beinahe verächtlichen Klang. Zweifellos ist die Großstadt als Brenn¬ punkt des geistigen Lebens, wo schöpferisch tätige Kräfte in großer Zahl zu¬ ammenströmen, von ausschlaggebender Bedeutung für die Kultur eines — Landes, aber das Kulturniveau hängt nicht von der Großstadt allein ab ihr Glanz könnte ja auch ein erborgter sein — sondern davon, inwieweit im gan¬ zen Volke geistige Kräfte lebendig sind und nicht nur passiv aufnehmen, sondern auch aktiv zu gestalten versuchen. Und wer richtig Umschau hält, wird feststellen können, daß überall, auf dem Dorfe wie in der Stadt, in allen Ständen und Berufen, ob Bauer oder Arbeiter, Handwerker oder Kaufmann oder Beamter Menschen sich finden, die nicht in der Fron des Alltags aufgehen, nicht in bil¬ ligen Vergnügen ihre Freude suchen, sondern die den Sinn für das Schöne sich bewahren, sich mit den Fragen des Seins beschäftigen, den letztenDingen nachgehen, sich mit ihnen auseinandersetzen, sie künstlerisch zu bewältig en und in gültige Form zu bannen suchen. Und bei diesem Streben kommt es nicht so e5 sehr darauf an, Höchstes, Vollkommenstes zu schaffen — wohl dem, dem gelingt! — sondern darauf, daß diese Kräfte nie aufhören zu wirken, lebendig künstle¬ zu sein; mag das Volk verarmen an materiellem Gut, an geistigem, rischem bleibt es reich und kann der Welt noch schenken. Solche Kräfte können aber auf die Dauer nicht im Dunkel gehalten wer¬ den, sie bedürfen der Oeffentlichkeit, sie bedürfen der Kritik, durch die und an der sie lernen und wachsen können. Daher bietet an diesem Abend, der in erster Linie der Erinnnerung an drei Tote, Bachner, Landsiedl und Stöger gewidmet ist, das Kulturamt der Stadt Steyr auch drei Vertreterinnen der jungen Gene¬ ration Gelegenheit, vor die Oeffentlichkeit zu treten: es sind dies Anna Hauser Maria Schedlberger und Alma Behr. Ein eingehendes Urteil über ihr Schaf¬ fen ist noch nicht möglich, sie sind Werdende, in Entwicklung Begriffene, Su¬ chende, Anna Hauser mehr dem Epischen zugewendet, Maria Schedlberger wohl Lyrikerin, deren Liebe aber auch dem Roman gilt, um dessen Gestaltung beide noch ringen; Alma Behr neigt nach ersten Versuchen in hochdeutscher ge¬ Lyrik der Dialektdichtung zu, in der sie die ernsten Fragen des Seins zu stalten trachtet. Allen Dreien ist gemeinsam tiefe Naturverbundenheit, die sich zur Liebe zur engeren Heimat verdichtet und die sie auch zu den Menschen und ihrer Arbeit führt. Daß die Auseinandersetzung mit den Problemen der Zeit, das Sichversenken in die Schönheit und Größe der Natur zu den letzten Dingen, zum Suchen nach der Erkenntnis des Urgrundes alles Seins führt, ist selbst¬ verständlich bei dem, der nicht bloß einen photographischen Abklatsch der Wirk¬ lichkeit geben will. Vor zehn Jahren schied Sepp Stöger aus dem Leben. Langjährige treue Freundschaft verband ihn mit Hermann Landsiedl und Albert Bachner und dem Maler Hermann Schmied, der auch ein Sohn der Stadt Steyr war. Sein 115

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2