Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1949

seiner Häuserin. Umschau. Er fand sie in ihrer Kammer. Der Kleiderkasten stand weit auf, die Schubladen waren ausgezogen. Die Spitzjuli kniete auf dem Boden und packte ihre Sachen. Da erschrak der Stumpfl bis ins Mark und wollte wissen, wie und was. Aber sie gab auf keine Fragen eine richtige Ant¬ wort, mullte nur und bockte und packte ihre Habseligkeiten in ein großes Bettlacken, das sie vor sich auf dem Boden ausgebreitet hatte. Denn sie besaß ja kein Köfferle mehr. In gleichmäßiger Zeitfolge schluchzte sie nur immer die Worte heraus: „I bin keine Solchene!“ Und wenn der Bauer fragte: „Ja, was für a Welchene?“ und begütigend nach ihrer Hand greifen wollte, stieß sie ihn jedes¬ mal ab, wie ein lästiges Geziefer, und fuhr ihn an: „Weil i mir das nit nach¬ agn laß!“ Mehr war aus ihr nicht herauszuquetschen. So konnte der Bauer nichts weiter tun, als dastehen wie der gefrorene Jörgl im Märchen, der den mühsam gehobenen Schatz vor seinen Augen versinken sieht, weil er den Zauberspruch nicht kennt, um ihn zu halten. Als die Spitzjuli alle ihre Hab¬ eligkeiten zusammengeworfen hatte, faßte sie zweimal je zwei Zipfel des Lein¬ tuches, zog sie mit energischen Griffen zu Knoten und der Pack lag wander¬ fertig vor ihr auf dem Boden. Nun schrie sie es unter einem Tränenschwall hervor: „Die Leut im Dorf sagn, wir zwei hätten's miteinand!“ Sie streckte wie abwehrend die Hände mit weitgespreizten Fingern gegen den Stumpfl und sah ihn an, als wolle sie ihn mit den Augen spießen. Dann vergrub sie ihr Gesicht tief in die Füllung der Schranktür, so daß ihr sittenstrenger Haar¬ knoten mit dem Pfeil hinten aufstand wie ein Entenbürzel. Nun überkam den Stumpfl jene große Angst, die in den Traumbücheln mit der Nummer 90 be¬ wertet ist; er stand am Scheideweg. Vor seinem geistigen Auge bimmelten herrliche Speckseiten auf endlosen Rauchstangen, volle Schmalztöpfe marschier¬ ten in Doppelreihen auf, ein Kartoffelhaufen türmte sich haushoch empor. Und diese Mehrerin seines Reiches sollte ihm nun auf immer verloren sein. All das hätte er am Ende verwinden können. Aber der Gedanke, daß diese Arbeits¬ maschine sich nun bald auf einem anderen Bauernhöfl in Gang setzen würde, ging über Stumpfls Kraft. So sagte er schüchtern: „Juli! Jetz wär einer da, in allen Ehren!“ Da drehte sich die Juli mit einem kräftigen Ruck herum, lugte mit einem Aug hinter dem vorgehaltenen Zipfel der Schürze hervor und sagte rasch: „Wo? Sie spekulierte mit dem einen grauen Katzenauge die ganze Kammer ab, sah sogar zur Decke hinauf, nur nicht auf den Stumpfl. Bis der mit seinem krummen Arbeitsfinger auf seine Wenigkeit zeigte und mit der anderen Hand ein ungefüges Kreuzzeichen machte, was die priesterliche Einsegnung versinn¬ bildlichen sollte. So hielt der Stumpflbauer um die überspielte Orgel an. Da ließ die Juli auch vom Auge das Schürzenzipfel fallen und tat unsäglich er¬ staunt: „Na, so was! Da hätt i mir jetz eher den Tod einbildet!“ Dann machte sie ein ernstes Gesicht und sagte streng: „Stumpflbauer, so a Sach kann man nit über's Knie abbrechen; das will guet überlegt sein! Das Bäuerlein verbrachte eine unruhige Nacht der Erwartung. Aber bis zum nächsten Tag hatte es sich die Spitzjuli doch zum Günstigen beschlafen und sagte mürrisch genug: „In Gottsnamen!“ Und packte ihre Ausstattung wieder aus dem Lein¬ tuch in den Kasten. Sie brauchte kein Köfferle mehr. Als die Hochzeit vorüber war, legte die Juli dem Bauer ihre knochige Hand auf die Schulter und sagte bloß: „Thomas, jetz habn mer's!“ Als sie noch Spitzjuli gewesen war, hatte sie im Dienste so viele Monate lang ihre inwen¬ dige Wut, an der manche Weibetser immerfort leiden, zurückdrängen müssen; 106

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