Jahrbuch des Kreises Steyr 1942

Der erste Auerhahn Albert Bachner. Es nützt alles nichts: die Geschichte ist wahr, obwohl die Helden der Jäger¬ gilde angehörten und das Ende nicht sehr rühmlich war. Mein Freund, Doktor H., seines Zeichens Rechtsanwalt, stand zu dieser Zeit wie weiland Herkules am Scheidewege und war daher unschlüssig, ob der jungen Praxis des Rechtsgelehrten oder dem weitaus unterhaltsameren Jägerleben der größere Zeitanteil zu widmen sei. Zum Glück balzen Klienten und Auerhahnen nicht immer gleichzeitig; auch Rehböcke und Klageweiber schmälen zu verschiedenen Stunden und ein Schnepfen¬ strich und ein verspielter Prozeß muß nicht starrsinnig am gleichen Tag gefeiert werden. Also vollzog sich der Reigen der frohen Feste und sauren Wochen in schönster Ordnung Eines verhängnisvollen Tages fand sich in einer Dornröschengegend — der — Ort hieß Gleichraming ein Revier. Es war hahnenreich, aber nur unter läster¬ lichen Verwünschungen über den langen Schinderweg zu erreichen. Allein konnte der angehende Jagdherr dort unmöglich sich einleben. Also mußte ein ortskundiger Eingeborener aufgetrieben werden, der mit allen Schlichen vertraut und mit allen Salben geschmiert war. Dieses begabte unentbehrliche Subjekt auf der Schmierbühne des kommenden Jägerdramas tauchte wie aufs Stichwort aus der Versenkung und hieß schlicht und einfach: Sepp Hinterwinkler. Seine hervorstechendste Eigenschaft war die Einfalt; seine Rede war blumenlos und poetischen Wendungen durchaus abhold. Symbolik liebte Hinterwinkler nicht und was er sagte — das meinte er auch * * * Als der Frühling einmal seine alteingeführte Bergsteigerei wiederholte, schwante dem neuen Jagdherrn, daß die großen Hahnen nun bald verlost werden mußten und telegraphierte kurz und bündig an Sepp Hinterwinkler: „Komme heute Nacht. Der schießbereite Herr Doktor kam um Mitternacht in Gleichraming bei raben¬ teufelsschwarzer Finsternis an. Das Empfangskomitee aber glänzte durch Abwesen¬ heit —: Hinterwinkler war einfach nicht da; und der schlaue Doktor hatte keine Ahnung, wo der Malefizer seinen „Bauschen“ hängen hatte. Nun ging der ein¬ schichtige führerlose Weidmann in den entfernten Ort, äugend und hoffend, den Ungetreuen in irgend einem Wirtshaus anzupirschen. Aber diese ländlichen Ver¬ gnügungspaläste gähnten an Wochentagen vor innerer Leere und trauerten über heftigen Gästemangel, hatten darum kein Licht mehr und pflegten der nachtschlafen¬ den Ruhe. Sepp Hinterwinkler gab weder Standlaut noch trenzte seine melodische Stimme irgendwo aus der ennstalerischen Finsternis. Da wurde dem hahnensüchtigen Doktor die niederschmetternde Erkenntnis, daß er wieder umkehren und die restliche Nacht bis zum Morgenzug am Bahnhof ver¬ fluchen könne. Mit hängenden Löffeln ging's zurück; und auf der Bank des Warte¬ raumes wurde der Anstand bezogen. Die Nacht und Heimfahrt waren gleicher¬ weise melancholisch. Daheim ward eine Elegie an Sepp Hinterwinkler gedichtet und stracks nach Gleichraming befördert. Der so unerwartet Besungene ächzte weidwund auf und kam nächsten Tages schon eigenfüßig nach Steyr, umsein Befremden über den ungerechten Rüffel des Herrn Doktors zu äußern. Er, der Sepp, sage selbst, daß für die Auerhahnen schon hohe Zeit wäre, aber wassolle man dann zu einem Telegramm sagen, das das Verlosen noch weiter hinaus chiebt? Denn das Telegramm, das Hinterwinkler erhaltenhatte, lautete: „Komme heute nicht!“— Und der noch zurechnungsfähige Doktor hatte doch „Nacht“ ge¬ 312

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