Jahrbuch des Kreises Steyr 1942

Wir kommen nun zur einzigen gefährlichen Schlange des Gaues, der Kreuzotter, und können uns in Anbetracht der vorhergehenden vergleichsweisen Beschreibung der Glatt¬ natter sehr kurz fassen: Die Kreuzotter, Otter, Adder — auch Feuer=, Kupfer= oder Höllenotter genannt, wissen¬ chaftlich als Pelias berus L. bezeichnet, ist unsre kleinste und plumpste Schlange, Männchen werden höchstens ½ Meter lang, Weibchen selten gegen 70 Zentimeter. In Gebirgsgegenden, wo die ganz schwarze Varietät, die Höllenotter oder der Bergstutzen vorherrscht, bleibt die Größe oft unter 40 Zentimeter. Der Kopf ist nicht eigentlich dreieckig, wie es in vielen Lehrbüchern steht, sondern eher schmal trapezförmig, sehr flach und von dem verhältnismäßig schmalen Halse meist recht deutlich abgesetzt. Die beiden entscheidendsten Unterscheidungs¬ merkmale gegenüber den Nattern sind: 1. die vielen kleinen Hornschilder, mit denen der Kopf bedeckt ist und die um die Augen einen Kranz bilden, so daß die großen Oberlippenschilder niemals das Auge berühren; (Tafel!) 2. das Auge ist von „augenbrauenartigen“ Schildern überdacht, so daß es einen drohenden Ausdruck gewinnt, wie etwa unser Auge bei tief herab¬ gezogenen Brauen. Der feindliche Ausdruck wird verstärkt durch das lebhafte Rot der Regen¬ bogenhaut des Auges und die senkrechte, schmalelliptische, fast spaltförmige Gestalt der Pupille. Dadurch ist die Kreuzotter als Nachttier gekennzeichnet. Nur im Hochgebirge mit seinen kalten Nächten treibt sie sich tagsüber herum, in den Niederungen sucht sie die Sonne nur aus Wärmebedürfnis auf und erweist sich am Tage als sinnenstumpf und träge. Der Rumpf ist auffallend dick und plump und endet mit einem nicht über 6 Zentimeter langen kegelförmigen, unterseits gelben Schwanz. Mit der Massigkeit des Rumpfs hängen auch die geradezu ungeschickt erscheinenden Kriechbewegungen der Kreuzotter zusammen, sehr im Gegensatz mit der elegantenGeschmeidigkeit der Nattern. Nur der Hals ist sehr beweg¬ lich und wird—gereizt .— sofort zurückgekrümmt oder aufgerichtet. Keine einheimische Schlange kann sich höher als 30 Zentimeter aufrichten, geschweige denn springen. Alle Schuppen ind gekielt, ähnlich denen der Ringelnatter, daher hat die Oberfläche der Otter im Gegen¬ satz und der mit ihr so oft verwechselten Glattnatter immer ein rauheres, gewissermaßen ruppiges Aussehen, was sehr gut mit dem ausgesprochen mürrischen, abweisenden Wesen des Tieres übereinstimmt. Die Farbe der Kreuzotter ist außerordentlichen Schwankungen unterworfen. In unserm Gaumuseum ist eine sehr sehenswerte Sammlung von über 20 verschiedenen Spielarten der Kreuzotter von Direktor Dr. Kerschner zusammengestellt worden. Zieht man noch in Betracht, daß die Farben während der Häutung undeutlich werden, so wird man sich klugerweise immer mehr an die Kennzeichen der Gestalt halten als an Farbe und Zeichnung. Beim Männchen herrscht mehr Grau, beim Weibchen oft ein schönes Rotbraun vor, doch gibt es gelbliche, hellgraue, grünliche und im Hochgebirge ganz schwarze Abarten. Die Unter¬ seite ist bis auf die gelbliche Kehle und Schwanzspitze grau, meist mit helleren Pünktchen oder Flecken. Das berühmte Kreuz ist, wie schon erwähnt, oft nur ein dunkler, am Hinter¬ rand ausgebuchteter Fleck am Scheitel. Das dunkle Zackenband ist meist spitzwinkelig und von runden schwarzen Flecken der Körperseiten begleitet. Oft genug löst sich das Zackenband in einzelne Flecken auf. Wie alle Vipern bevorzugt die Kreuzotter warmblütige Tiere als Nahrung, besonders Mäuse, denen sie in der Ebene und im Hugelland am liebsten in hellen Wäldern, auf Wald¬ schlägen, Mooren nächtlich nachstellt. Im Gebirge liebt sie sonnige Hänge, besonders in der Krummholz= und Alpenrosenregion. Gegen rauhe Witterung ist sie verhältnismäßigwider¬ standsfähig, geht in den Alpen bis 2800 Meter Seehöhe und ist auch in den klimatisch reichlich rauhen Teilen des oberen Mühlviertels eine häufige Erscheinung. Ihre Verbreitung reicht von Südkärnten bis zum 67° Breitengrad und von Spanien bisins östliche Sibirien; sie gilt als die verbreitetste Landschlange. Glücklicherweise ist ihre Vermehrung nicht sehr groß. Sie „gebiert“ 5 bis 15 Junge im Jahr. Das Lebendiggebären der Ottern war schon im Altertum bekannt und liegt auch im Namen Viper= vivipara — die Lebendiggebärende. Merkwürdig sind die oft bedeutenden Ansammlungen der Kreuzottern im Winterlager, wo sie bis zu 25 Stück „zu scheußlichem Klumpen geballt“, die ersten wärmenden Strahlen der Märzsonne erwarten. Der Intelligenzgrad der Kreuzotter ist außerordentlich gering, ihr Nahrungserwerb ist ja viel einfacher als bei Nattern. Die Beute, meist eine Maus, wird langsam beschlichen, der Hals zurückgekrümmt und blitzschnell fährt der Kopf mit unglaublich weit geöffnetem Nachen auf das Opfer los. Dieses zuckt zusammen, schwillt alsbald auf, schwankt, fällt um und verendet in wenigen Minuten. Die beiden Giftzähne, hinter diesen stehen noch zwei 309

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