Jahrbuch des Kreises Steyr 1942

Das Männchen, das meist weit unter ½ Meter bleibt, ist mehr oder weniger einfarbig braun mit einem an Bronze erinnernden Schimmer, die manchmal bis ½ Meter langen Weibchen zeigen mehr graue Töne, in welche Gelb oder Rot gemischt sein kann, die Seiten aber sind stets dunkler und die Unterseite schwärzlich. Bei den außerordentlich zierlichen Jungen, die, lebendig geboren, etwa 15 Zentimeter messen, ist der Farbunterschied noch größer. Meist sind sie oben silbergrau, unten tief schwarz, an den Seiten treten oft zierliche feine dunkle Längstlinien auf. Wie so häufig im Tierreich, trifft man in den Alpen zwischen 1200 und 1600 Meter ganz dunkle Exemplare. Die Blindschleiche lebt sehr versteckt, liebt eine ge¬ wisse Bodenfeuchtigkeit und wäre ein sehr erwünschter Mitbewohner des Gartens wegen ihrer Vorliebe für Nacktschnecken. Ja sie ist sogar ein ganz guter Wetterprophet, insofern ein auffallendes Herumrevieren in den ersten Morgenstunden herannahende Niederschläge an¬ zeigt. Sie folgt nämlich den durch die vermehrte Luftfeuchtigkeit regsamer gewordenen Würmern und Schnecken, ähnlich wie die Schwalben und Segler den tieferfliegenden In¬ sekten. Die Behausung unsrer Schleiche ist meist ein Laublager oder ein Genist unter Platten¬ steinen, wo sie oft friedlich mit den sonst so unduldsamen Ameisen zusammen haust. Im Herbst gräbt sie sich bis ½ Meter tief in die Erde. Vorher hat sie Anfang September ihre 6 bis 24 sehr zarthäutigen, durchsichtigen Eier gelegt, aus denen sofort die Jungen kriechen. Die Blindschleiche gilt somit als lebendiggebärend. —In Gefangenschaft lernt sie bald den Pfleger kennen und läßt sich gern von ihm in der Hand wärmen. Von ihren 64 Zähnchen macht sie nur der Beute gegenüber Gebrauch und verträgt sich mit andern Ter¬ rariumtieren vortrefflich. Es ist hohe Zeit, daß dieses liebenswürdige, bescheidene und noch dazu sehr nützliche Tier, das bisher so unsinnig verfolgt wurde, unter vollkommenen Schutz genommen wird. Im Mittel¬ alter hat man gern die „Blindschleicher auff Theriac gegen die Pestilenz“ verarbeitet! Mit welchem Erfolg, kann man sich denken. Von den echten Schlangen ist weitaus die häufigste und bekannteste die Ringel¬ natter, auch Haus= oder Wassernatter, Beißwurm oder Unk genannt. Tropidonoton natrix, die Schwimmerin, nannte sie der alte Linné, und mit Recht, denn keine unsrer Schlangen be¬ wegt sich mit derartiger Geschwindigkeit und Anmut im Wasser. Kilometerweit vom See¬ ufer ist sie munter schwimmend angetroffen worden und ihre Tauchkünste nach Fröschen und Jungfischen sind erstaunlich. Man trifft sie auch meist in der Nähe von Gewässern; in unseren „Hauslacken“ treibt sie sich gern herum, ist auch zu Lande sehr regsam, klettert auch nicht schlecht, aber nicht gewohnheitsmäßig. Sie ist schon beinahe zum ländlichen Kulturfolger ge¬ worden und nimmt nicht selten in Viehställen Aufenthalt, deren feuchte Wärme ihr wohltut. Es wird zwar immer berichtet, daß sie Frösche allem anderen vorzieht, doch habe ich das Verschlingen junger Mäuse selbst beobachtet und gerade diese Nahrung mag ihr in Stallnähe öfter beschieden sein. Von den Larven der für die Fischzucht oft schädlichen Wasserfrösche ver¬ tilgt sie über hundert im Tage und macht dadurch den geringen Schaden an Jungfischen wieder wett. Ganz unsinnig ist die gar nicht seltene Meinung, sie trinken am Euter unsrer Haustiere. Ein Saugen ist der Schlange ebenso unmöglich wie der Nachtschwalbe, die heute noch den ihr von Plinius vor zwei Jahrtausenden verliehenen Namen Caprimulgus, d. i. Ziegenmelker trägt. Wohl aber liebt die Ringelnatter Milch, die gern mit der langen — gespaltenen Zunge aufgeleckt wird, was wiederum den anderen Aberglauben widerlegt, daß Schlangen nicht trinken können. Auch über die lange, tief gespaltene weiche Zunge der Schlangen ist heute noch die Redensart nicht selten, „die Beißwürmer (=Schlangen) stechen". An gefangenen, zahmen Nattern, die bei sorgfältiger Pflege bald vertraut werden, kann man sich von der ausschließlich der Sinneswahrnehmung gewidmeten Tätigkeit der Spaltzunge überzeugen. Sie ist ein Tast¬ organ allerersten Ranges und für den sonst wenig dazu geeigneten Schlangenkörper un¬ entbehrlich. Jedenfalls gehen Schlangen ohne ihre Tastzunge allmählich ein. Genaue Versuche haben erwiesen, daß für gewisse Wahrnehmungen nicht einmal das Berühren des Objektes mit der Zunge nötig ist, um sich von dessen Natur zu überzeugen. Wahrscheinlich spielt eine Art chemischen Sinnes dabei mit eine Rolle. Die Zunge steckt in einer weichen Scheide zwischen den Unterkieferästen und kann jederzeit aus den geschlossenen Kiefern durch ein winziges Tor in der Oberlippe herausgeschnellt werden. In der Erregung kann die Zunge so oft daß unser Auge nur mehr ein Flimmern wahrnimmt, das 8 aus= und eingezogen werden, als „elektrische Ausstrahlung“ gedeutet worden ist. Jedenfalls von phantastischen Beobachtern ist die spitze, lange Schlangenzunge das Hauptsinnesorgan der Schlangen und in Form und Aufgabe für diese kennzeichnend. Die Zunge der Schleichen ist kurz, stumpf und nur wenig 305 20

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