Begegnung im Lazarett Eine Geschichte von Anton Stieger. Vierzehn Tage lang liege ich nun schon im Krankenzimmer des ReserveLazaretts neben Werner, dem Einarmigen. Man kann nicht sagen, daß er von seinem Los etwa besonders niedergedrückt wäre. Ja, er spielt mit seiner einen Hand noch fröhlich auf der Mundharmonika und ist sogar unser Stimmungsmacher mit seinem unverwüstlichen Humor. Wir alle haben Werner sehr ins Herz geschlossen, und gerade seiner guten Laune wegen erscheint uns sein Heldentum um so größer. Wenn jemand von seiner Verwundung spricht oder gar danach fragt, dann meint er kurz: „Ah — na, was soll's sein? — Ein Krach, ein Granatsplitter, Blut — und als ich wach wurde, war er schon weg." Dabei deutet er mit seiner gesunden Linken ins Leere an seiner rechten Seite. Das ist Werner. Das war er in den bisherigen vierzehn Tagen, während der ich nun schon neben ihm liege. — Möglich, daß mir das bisher entgangen ist, jetzt jedenfalls merke ich es: Wenn niemand genauer hinsieht, macht Werner traurige Augen. Und am gleichen Abend, da mir dies auffällt, spüre ich auch, daß Werner der letzte ist, der ein schläft . . . Drei Tage fällt mir das auf. Am vierten — die anderen Kameraden liegen auf den Liegestühlen draußen auf der Terrasse — poche ich an dieses ver steckte Kämmerchen im Herzen meines Kameraden. „Sie kommt!" Die Worte, die jeden anderen erfreuen, lassen ihn noch trau riger werden. Wer freute sich nicht auf den Besuch seiner Braut? Er merkt das Staunen an meiner Miene. — „Aber sie weiß es noch nicht!" Allmählich begreife ich den Zusammenhang. Oh, wundert euch nicht und lächelt nicht über einen Mann, der den Mut hat, für die Heimat seinen rechten Arm hinzugeben, und dennoch nicht mutig genug ist, seiner Braut die Wahrheit zu schreiben! Ich nicke und suche Worte, die Werners Stimmung heben sollen. Es ge lingt mir nicht. -------- Werner liegt auf dem Liegestuhl auf der Terrasse. Da tritt von hinten ein prächtiges Mädel, ein Reiseköfferchen in der einen, einen buntfrohen Blumen strauß in der anderen Hand, zu ihm. Ich sehe noch deutlich das jähe Erschrecken von beiden und fühle noch ihr gleichzeitiges Erblassen. Und dann sehe ich, wie das Mädchen den blonden Lockenkopf an seiner Brust birgt und schluchzt. Ich sehe Werner, wie er seine Linke auf ihre Schulter legt und verzweifelt auf sie niederschaut. „Oh, nur nicht so arg traurig sein! Das Schicksal hat es so gewollt!" sagt er zu ihr. „Wir wollen uns ein gutes Andenken bewahren — aber du bist frei, Mädel! Du sollst nicht die Frau eines Krüppels werden! Du bist mir selbst zu gut dazu, Mädel, hast das Leben vor dir in seiner frohen Unbeschwertheit! Ich will nicht, daß auch du meinetwegen leidest!" — Und nun sehe ich den Kameraden im Bett, während die Sonne nur noch einen roten Schimmer am Fenster erglimmen läßt. Ruhig liegt er in den Kissen und ganz von selbst beginnt er mir zuzuflüstern: „Sie sagte, sie sei jetzt richtig stolz auf mich. Sie würde gern die Frau eines Helden werden!" Und während er sich mühselig auf die Seite dreht, flüstert er noch einmal feierlich: „Ja, so sagte sie!" Nein, er, der Einarmige, ist nicht stolz, er liebt keine Äußerlichkeiten, und als er das Wort „Held" sagt, ist es, als schäme er sich, es auszusprechen. Seine Augen aber glänzen, und seinMund lächelt .... 839
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