292 Das Lesezeichen Heiteres Geschichtchen von Hans Bramkamp. Immer, wenn Walter Vogel die Gefolgschaft des großen Werkes besuchte, das dersonst so stillen Kleinstadt die wirtschaftliche Bedeutung gab, wurde er mit der Herzlichkeit aufgenommen, mit der man einen guten, alten Freund begrüßt. Denn in der kleinen Stadt gab es keine Buchhandlung, und Vogel, der einen großen Verlag vertrat, brachte stets eine umfangreiche Auswahl besten Schrifttums mit. Schon mancher Werksangehörige hatte sich durch ihn eine eigene, kleine Heim¬ bücherei geschaffen, und manches Buch wanderte in die Werksbibliothek. Nur der Buchhalter Isegrimm, ein alter und, so schien es, unbekehrbarer Jung¬ geselle, hatte noch niemals ein Buch erworben. Er galt überall als ein Geizkragen, der sein Geld mehr liebte als alle schönen und nützlichen Dinge der Welt. Als nun der Buchhändler wiederum im Werk erschien, kam das Gespräch auf Herrn Isegrimm, und Vogel bemerkte, er werde diesmal, trotz allen Abratens, in die„Höhle des Isegrimm“ gehen und noch einmal sein Glück versuchen. Wie er dann in das Burozimmer des Buchhalters trat, erklärte der ihm sogleich mit frostiger Miene, es sei für beide Teile Zeitverschwendung, wenn die Bucher aus epackt würden, er verstehe es übrigens auch nicht, daß der Chef solche Besuche während der Dienstzeit dulde und sogar fördere. Vogel verdoppelte seine Liebenswürdigkeit und erwähnte, daß ein Mann von der Bildung des Herrn Isegrimm doch sicherlich auch die Gelegenheit benutzen möchte, sich über die Neuerscheinungen auf dem laufenden zu halten. Irgendwie mußte die so ernsthaft und sicher vorgetragene Bemerkung über das Bildungs¬ bedürfnis des Herrn Isegrimm gewirkt haben, denn Vogel erreichte es, daß die Bücher zur Ansicht für kurze Zeit im Bürozimmer verbleiben durften, und zog sich zurück. Isegrimm beabsichtigte zunächst nicht, überhaupt einen Blick in die Bücher zu werfen. Dann aber erregte die flotte, farbig reizvolle Titelzeichnung eines Reise¬ buches sein Interesse. Er nahm es in die Hand und blätterte, nach weiteren Zeich¬ nungen oder Photos suchend, in dem Werk. Aber was war das ...! Er klappte das Buch zu, um es im nächsten Augenblick, fast erregt, wieder zu öffnen. Da steckte doch, nein, er hatte sich nicht versehen, ein Fünfzig=Markschein in dem Buch. Wie kamaber nur die Reichsbanknote... In diesem Augenblick trat Walter Vogel wieder ins Zimmer, und Isegrimm legte, mit rotem Kopf und leicht zitternden Händen, das Buch zur Seite. Ein Kauf käme auch diesmal nicht in Frage, erklärte er und machte eine Bewegung, daß der Buchhändler abräumen möge. Doch, dann fiel sein Blick auf das Reisebuch, und plötzlich hörte Vogel ihn sagen: „Würde ich dieses Buch sofort behalten können oder ist es ein einzelnes Exemplar? —„Selbstverständlich steht dieses Buch sofort zu Ihrer Verfügung. Ich verstehe durchaus, daß Sie, der Sie sicherlich die Welt kennen, an diesem schönen Reisebuch ... Isegrimm schnitt ihm das Wort ab, zog seine Brieftasche, unterschrieb den Kau fvertrag, legte eine fieberhafte Eile an den Tag und schien erst aufzuatmen, als Vogel die übrigen Bücher zusammenpackte und das Zimmer verlassen wollte. In der Tür blieb der Buchhändler einen Augenblick stehen: „Noch eines, Herr Isegrimm, Sie werden im Buch ein originelles Lesezeichen finden. Es ist die Wer¬ bung für eine Lotterie und sieht auf den ersten Blick wie ein Fünfziger aus, vielleicht ist es für Sie ein Anlaß, auch einmal in der Lotterie das Glück zu versuchen ...?“ = en Se
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