289 Schade fliegt 'raus! Tierskizze von Otto Boris. Schade, der Fuchs, hatte in einer Schonung neben dem Mühlbach sein Not¬ quartier aufgeschlagen — in einem ehemaligen Kaninchenbau. Sein Heim nach allen Regeln auszugestalten, war er zu faul. Und das lag an den Hühnern der Moormühle. An jedem Morgen, wenn sie herausgelassen wurden, oder auch in der Dämmerung, ehe sie schlafen gingen, gelang es ihm, eines zu schnappen. Er war gut im Feist und glänzend in dem roten, glatten Pelz. Jedesmal, wenn er eines der Hühner erwischte, hieß es: „Das ist schade.“ Wovon er endlich seinen Namen erhielt. Einen einzigen durftigen Notausgang schuf er, dann aber beliebte er, sich dem wohligen Nichtstun bei vollem Bauche hinzugeben. Doch das Schicksal schreitet schnell. Sämtliche Bewohner der Moormühle loderten in Rache. Sie verpetzten Schade beim Förster. Der hatte einen rauhhaarigen Dackel namens Funzel. Und bald ging es auf die Suche nach dem Bösewicht. Die Hunde¬ nase erroch mit Sicherheit Schades Wechsel von der Moormühle zu den Sand¬ hügeln, da er gar zu häufig benutzt worden war. Eines Tages, als die milde Spätherbstsonne durch die dicken Waldnebel brach, schrien die Häher am Bache Zeter und Mordio. Schade lag satt und zufrieden vor seiner Haustür und blinzelte ins Licht. Da der Häherlärm näher kam, wurde ihm die Geschichte unheimlich und er verschwand im Bau. Doch lange durfte er drinnen nicht rasten. Die Jäger hatten den Fehler gemacht, Funzel frei suchen zu lassen. Sobald nun dieser edle Ritter von Krummbein den Bau erkannte und die frische Witterung seines Erbfeindes in die Nase bekam, ver¬ schwand er in der Röhre wie ein Stein in einem Brunnen. Schades Nerven waren durch das plötzliche Auftauchen des grimmen Hunderachens dicht vor ihm, den heißen Atem und das schier unkluge Gekläff aufs schwerste erschüttert. Er wußte, daß dieser Funzel, dem er schon immer nie recht getraut hatte, nicht auf eigene Rechnung handelte, sondern der Vorposten einer weit größeren Gefahr war. Ohne viel Besinnen drehte er sich liegend im Kreise, erwischte die Notröhre, verklüftete sie (stopfte Sand zwischen sich und den Verfolger) und entrann ins Freie. „Bumm!“ machte es. Es pfiff Schade um die Lauscher und zischte im Geäste über ihm. Da warf er die Lunte auf und raste, was die Beine hergeben wollten, in den Wald. „Vorbeigeknallt!“ sagte der Förster vorwurfsvoll zu dem Moormüller. Der aber giftete sich noch mehr: „Sie hätten den Dackel nicht loslassen sollen.“ „Pah, er sucht nicht an der Leine!“ — Die Männer nahmen den Bau in Augen¬ schein. Das war aber auch alles, was sie tun konnten. Am Mittag fiel der Nebel. Ein dünner, feiner, aber desto dichterer Regen setzte ein. Schade strich ruhelos durch das Revier. Sein Pelz war naß, an jedem Härchen hing ein winziges Tröpflein. Das war noch zu ertragen, aber die dicken Klatscher, die von den Bäumen herabfielen, wenn ein Windstoß durch das Geäst fuhr, drangen durch. Schade schnaufte schwer; denn er hatte mit vollem Bauche unmäßig laufen müssen. Auch besaß er keine rechte Wohnung, darum nieste er ärgerlich. Außerdem war er aus der staatlichen Forst hierhergezogen und mit den Wohnungsverhält¬ nissen nicht vertraut. Im Freien zu schlafen, ging gegen seine Natur, und dann gab es unter den Vögeln allerlei Volk, das aus völlig unverständlichen Gründen einen Fuchs nicht ausstehen kann. Als wenn es ihm, Schade, jemals eingefallen wäre, auf die Bäume zu klettern oder zu fliegen! Die Rotkehlchen schimpften. Die Meisen sammelten sich zu einem wahrhaften Rachechor, sobald Schade sich unter einem Busch zusammenrollte. Dabei hätte nicht einmal ein Murmeltier schlafen können. 19
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