282 Dreiundachtzig Schuß gegen „Ticonderoga“ Der letzte U-Boot-Einsatz des Weltkrieges im Nordaklantik. Von Dr. Hans Steen. Diesiges Wetter herrscht am Morgen des 30. September 1918 über dem Atlan¬ tischen Ozean westlich der irischen Kuste. In der hochgehenden See schlingert der deutsche U=Kreuzer U 152. Regenflagen peitschen die grauen Wogen. Unsichtiges Wetter! Fröstelnd steht Kapitänleutnant Franz auf dem Turm des heftig rollenden Bootes. Doppelte Aufmerksamkeit tut not. Jeden Augenblick kann sich aus der dunstigen Morgenluft der massige Leib eines Zerstörers herausschieben. Dann ent¬ scheiden Sekunden über Leben und Tod. Wer zuerst den Gegner sichtet, der hat meist gewonnen. Der Wind reißt für ein paar Sekunden den „Dunstschleier der tiefliegenden Regenwolken auseinander, und just in diesen Augenblicken steht grau und hoch etwa 3000 Meter vom U=Boot entfernt ein großer Dampfer, der schnell näher kommt. Noch weiß man nicht, was für ein Schiff es ist. Sicher ein Engländer oder Amerikaner. Blitzschnell ist der Alarmbefehl heraus. Die Geschützbedienung springt aus den Luken, zwei Griffe, die Schutzhüllen sind vom Geschütz heruntergerissen näher und näher schiebt sich der Ozeandampfer durch den Regen heran. Noch hat man auf den hohen verkleideten Promenadendecks nichts von dem kleinen U=Boot in den hohen Wellen bemerkt. 500 Meter — noch nicht! Und nun ist schon deutlich der Name des Amerikaners zu erkennen: „Ticonderoga“ so leuchtet es von der Bordwand. Fast scheint es, als wenn der Amerikaner blind an dem U=Boot vorbeilaufen will, da plötzlich kommt Bewegung an Deck. Uniformierte Matrosen rasen an die Geschütze. Jetzt entscheiden Sekundenbruchteile. Wer zuerst feuert, der hat bei 200 Meter Distanz gewonnen. Schon jagen aus den beiden 15=Zentimeter=Geschützen des U=Bootes die ersten Salven in den Amerikaner hinein. Brücke, Funkentelegraphie und Steuerhaus sind zerrissen. Die Brücken¬ mannschaft ist nach sechs Salven tot, dem Kommandanten ist ein Bein abgerissen. Dabei mühen sich die Matrosen der „Ticonderoga“ noch mit den Regenhüllen über den Geschützen ab. Jeden Augenblick können von dem feindlichen Hilfskreuzer die ersten Salven zum U=Boot herüberpfeifen. Nach sechs Salven des U=Kreuzers klemmt bei der „Ticonderoga“ das Ruder. Das amerikanische Schiff beginnt, wild im Kreis herumzulaufen. Aber nun springen die ersten Wasserfontänen um dasU=Boot auf. Die Geschütze des Hilfskreuzers sind klar; mit Schneid bedienen die Yankees die 7=, 6= und 15.2=Zentimeter=Kanonen. — Um sie herum fliegen die Geschosse des U=Bootes ein Volltreffer wischt die gesamte Bedienung des kleineren Geschützes weg. Macht nichts, über 250 Mann hat die „Ticonderoga“ an Bord — schon springt eine neue Bedienung an das Rohr, und wieder jagen dem deutschen U=Kreuzer Granaten entgegen. Die Amerikaner wissen genau, jeder Schuß des U=Bootes sitzt in ihrem Schiff. Aber selbst ein Dutzend Treffer bringt den 5130 Tonnen großen Dampfer nicht zum Sinken, dagegen genügt eineinziger Treffer bei dem U=Kreuzer, um den gefechtsunfähig zu machen. Ungleicher Kampf, der auf beiden Seiten mit letztem Einsatz geführt wird! 35 Schüsse sind aus den Rohren des U=Bootes heraus, da blitzen aus dem Nebel Schüsse auf, die von einem Begleitkreuzer der „Ticonderoga“ kommen müssen. Ein zweimastiges Fahrzeug taucht schemenhaft aus dem Dunst auf. Jetzt wird dem U=Bootkommandanten klar, weshalb die „Ticonderoga“ allein in der von Untersee¬
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