Jahrbuch des Kreises Steyr 1940

280 Aber die, der die Worte Michel Moors galten, hörte es nicht. Sie hatte an dem Abend noch Haus und Stall versorgt und lag zu dieser Stunde tief in Schlummer und Ruh. Für das, was morgen geschehen sollte, hatte sie noch gesorgt. Der kleine Peter hatte die hohen Saatsäcke aufgehalten, und sie schöpfte Korn hinein, was sie für den Acker zum Säen brauchte. Jetzt lehnten sie vor der Tenne unter demDach, auf daß sie morgen gleich zur Hand stünden. Michel Moor stand immer noch neben dem Acker. Ueber die Wälder herauf schwamm der späte Mond und trug eine weiche Helle herein. Die Ränder des großen Ackers traten wieder hervor aus der Nacht, wie Silber schimmerte auf den Rainen das taubehangene Gras. Michel Moor wurde es plötzlich seltsam zumute. Er dachte nicht an Schlummer und Nacht, als er langsam an den Wiesen vorbei hinab zum Haus der Anna Möslin schritt. Im Obstgarten fiel ein Apfel mit dumpfem Laut ins Gras. Der Hof lag weiß und still im mondenen Schimmer. Michel sah alles stehen an seinem Platz, wo es seit Jahren war: der Wagen im Dunkel des Vordaches, die Hundehütte vor dem Hause, den Milchtrog am Brunnen. Doch da er sich umwenden und fortgehen wollte vom schlafenden Hof, fiel sein Auge auf die Säcke vor der Tenne. Er trat hin und prüfte sie. Korn war in den Säcken zur Saat auf dem großen Acker! Da lächelte Michel Moor leise in sich hinein, und plötzlich wußte er, was ihn fortgetrieben hatte von daheim. An seinem alten Platz hinter der Scheunentür fand er das weite Säetuch, er hob es vom Nagel und hing es sich über. Auch der Karren stand im Dunkel des Raumes, doch als ihn Michel hinausfahren wollte, die Korn¬ säcke darauf zu legen, knarrte er lauter, als es gut war. So ließ er ihn stehen und hob mit geringer Mühe seiner starken Arme den ersten Sack auf die Schulter. Der Weg zog sich nicht weit. Draußen stellte Michel Moor den Sack in die Mitte des Ackers. Dann ging er um den zweiten und schritt mit ihm tiefer in das saat¬ bereite Feld. Sechsmal tat er den Gang, bis das Korn, das gebraucht wurde für dieSaat, auf dem Acker war. Das wurde eine seltsam milde Saat! Der Laut der Schritte versank in der abgründigen Schwärze des Ackers. Schritt, Wurf! Schritt, Wurf! In stetem Schwung säte Michel Moor das Korn über den Acker. Die Körner blitzten in der Silberhelle der mondenen Nacht und fielen in weitem Bogen rieselnd zur Erde. Der Säeschurz hing schwer und prall im Arm. Doch bis der drübere Rain des Ackers erreicht wurde, war er wieder leer und die leise rollende Woge der Körner ausgestreut. Mit einer hölzernen Kelle schöpfte er neues Korn in den Schurz, bis auch das wieder ausgesät war. Auf und ab, ab und auf schritt er den Acker, und sein Arm ruhte nimmer. Michel Moor hatte alles Maß der Zeit verloren. Als vom nahen Haus der Anna Möslin zum erstenmal der Hahn krähte, wußte er, daß Mitternacht vorüber war. Der Mond stand jetzt hoch am Himmel, der Schatten verlor sich fast unter seinen Füßen. Die Gräser am Rain hingen tief voll Tau, kühler hoben sich die Stunden; wenn nicht am Morgen noch Nebel einfiel, mochte Reif kommen. Das Land schlief tief und gut. Die Nähe und die Weite hatten sich im Mondlicht wieder aufgetan, doch kein Schritt hallte herüber von den Bauernstraßen. Wie aus einer anderen Welt fast wogte aus der größeren Ferne hinter den Wäldern anschwellend und wieder verebbend das Brausen der Stadt herein: der Laut eines Motors, der Pfiff eines Zuges. Es vergingen noch Stunden, bis Michel Moor die letzte Handvoll Korn ver¬ streut hatte. Er hätte es nicht vermeint, aber nun hing ihm doch der Arm wie tot von der steten Arbeit in der Schulter. Die Säcke holte er noch ein, dann schritt er aus dem bestellten Acker und streifte die Erde von den Schuhen. Die Säcke mußte er zum Hause tragen, geleert, auf daß die Bäuerin erfuhr, wenn sie am Morgen heraustrat, wohin ihr Korn gekommen.

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