276 4 Die Schenke des Lebens Von Albert Bachner. Aus einer unbekannten Ferne kommt eine Straße. Ihr graues Band flattert wie vom Winde hochgejagt über blumenbestickte Fluren. Ab und zu wird sie unsicht¬ bar wie eine Schlange, die sich durch goldne Sommeräcker windet. Ueber dem er¬ höhten Waldrand erscheint das helle Zickzack wieder, um dann leuchtend zwischen den Säulen des grünen Domes fortzufließen. Aber die Straße hält nicht einmal im Frieden der Wälder Rast. Die Ruhelose stürmt weiter und steigt über Schluchten und Abgründe, einmal steil aufwärts und dann jäh wieder tiefer hinab. Wie das Leben selber, das immer wieder an Höhen verliert. Der Wandernden singt keine Quelle schön genug — sie eilt vorüber. Um die Altane des Gebirges ringelt sie ihren grauen Natternleib und hängt sich an Abstürze und Felsnasen. Nicht einmal die Traumstunde am Bergsee und der Anblick der erhabenen Karwildnis vermögen es, den Eilschritt der Flüchtigen zu hemmen. Nur den Gletscherzungen weicht sie gerne aus, denn diese lauernden Wege¬ lagerer verschütten ihr zuzeiten den Lauf nach dem Bergpaß. Ueber den Bergen trachtet die Eilende hinunteyein die Täler. Sie flieht über mächtige Ströme hinweg und mündet mehr als einmal mitten im Herzen großer Städte. Hier droht der Straße die Gefahr der Spaltung und Zerrissenheit; und erst nach vielen Irrgangen und Winkelpfaden findet die Nimmermüde ihr einziges Ziel wieder und den Ausweg aus dem Labyrinth. Was immer in ihrer breiten Bahn liegt, nimmt sie auf, was ihr zuströmt, lockt sie mit sich fort und will das Antlitz der Landschaft alle Tage anders sehen. In der Heimat des Lorbeers, aus Olivenhainen und Weingärten, hebt sich der Gürtel der Straße greller ab und in den Ebenen rollt er sich immer schneller auf undbeginnt zu fliehen — bis die Küsten der Meere allen Wegen und Straßen ein setzen. Ziel An dieser langen Straße steht die Schenke des Lebens. Ueber dem Eingang auf einer gebogenen Stange hängt ein wunderliches Schild: EinReigen schöner und häßlicher Gestalten umtanzt einen edelgeformten Krug. Der alte Meister, dessen kunstgeübte Hände das Schild getrieben hatten, war wohl ein Wissender gewesen, der das Leben und seine Kinder gut kannte. Die symbo¬ lischen Figuren sind so vieldeutig, daß jedem Gast aus diesem Herbergszeichen eine andere Offenbarung zuteil wird. Sehen die einen die Deutung des Bildes im Krug, so fragen die andern nach demInhalt; und wieder andere meinen den Tanz um die Freude. Einem Kreis, der dem Trunke abhold ist, erscheint der Krug als Unglücks¬ gefäß, aus dem die Zecher Tod und Armut trinken. Das Leid ungezählter Mütter und unbarmherzige Not für Kinderseelen birgt dieser Krug. Wer ihn hebt und zum Ueberfließen bringt, verschüttet Jammer und Zwietracht und weckt immer wieder Menschen auf, die besser nie geboren wären. Andere aber, denen die Sucht nach Rausch und Betäubung im Blute liegt, dürsten nach dem Trank des Vergessens —und kehren in ihrem Wahn in der Schenke des Lebens ein, statt die stille Taverne zu suchen, wo ein schweigender Wirt keinen Gast mehr über die Schwelle zurück läßt.... Es kommen die Glücklichen, denen es gegeben ist, von allen Gaben zu nehmen unddenen kein Ueberfluß zum Leide ausschlägt. An diesem Herbergstisch sitzen, unablässig wechselnd, neue Fremdlinge. Und es trifft sich allzeit, daß die einen von den Bergen und über den Berg gekommen sind und die andern aus den Tälern emporsteigen, um dem alten Land den Rücken zu kehren.
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