Jahrbuch des Kreises Steyr 1940

206 ihrer Brust. Sie war oft ziemlich ausgestopft, denn für den ganzen Bezirk kam oft Material zusammen. viel Auch die Schreibmaschine wurde besichtigt, da einigen Gegnern (auch Daucher und Kargl) Flugblätter mit der Post zugegangen waren und folgenden Inhalt hatten: Flugblatt Nr. 3 vom 29. November 1933. Sämtliche Parteigenossen und anständige Vg. werden auf das nachdrücklichste vor dem Gasthausbesitzer Ludwig Daucher und des weiteren vor dem Ferdinand Kargl, Kauf¬ mann, beide in Losenstein, gewarnt. Diese beiden Familien erblicken ihre vornehmste Aufgabe darin, unsere Parteigenossen in der lügenhaftesten Weise der Exekutive auszu¬ liefern und erblöden sich nicht, fast täglich eine Anzeige durch die Amtsstellen an den Sicherheitsdirektor zu erstatten. Die Gesangproben bei Marxrieser wurden auch im Dezember laufend kontrolliert. Am 23. Dezember heurschte wässeriges Schneewetter. Um 2 Uhr früh brachten Marx¬ rieser und Mannigatterer eine sechs Meter lange Hakenkreuzfahne auf den Leitungs¬ drähten bei der Brücke über die Enns an. Am Morgen des 24., als Marxrieser noch schlief, erschienen Gendarmen bei seinem Bett und forderten ihn im Namen der Re¬ publik auf, die Fahne sofort zu entfernen, widrigenfalls er als verhaftet gelte. Sie hatten ihrem Auftreten durch Aufpflanzen des Bajonettés-Nachdruck verliehen. Da Marprieser erklärte, daß ihn die Fahne nichts angehe, sagten die Gendarmen, daß seine politischen Gegner verlangen, daß er zur Abnahme verpflichtet werde. Die Gendarmen gingen fort, nachdem sie Marxrieser aufgetragen hatten, nachzukommen. Marxrieser aber blieb im Bette liegen, bis die Gendarmen bald darauf wieder kamen und ihn zur Brücke hinuntertrieben. Inzwischen war das Hochamt aus und die Kirchenbesucher kamen langsam zur Brücke, die bald voll Menschen war, da auch aus den Gasthäusern alsbald die Leute kamen. Inzwischen hatte der Postenkommandant acht bekannte Nazi auf der Gasse zu¬ sammengefangen, die Marxrieser helfen sollten. Sie mußten vom klerikalen Wirt Her¬ mann Blasl Stangen holen. Absichtlich brauchten sie hiezu recht lange Zeit, damit die Leute die Fahne noch recht lange sehen könnten. Die Stangen waren zu kurz und sie mußten nochmals zu Blasl, um längere Stangen zu holen. Nach einer halben Stunde waren sie wieder auf der Brücke. Nun mußte wieder einer um Schnüre gehen, mit welchen dann die Stangen am Ende zusammengebunden wurden. War das ein Theater für die vielen Zuschauer! Endlich wurde die Fahne angebohrt; aber niemand zog so stark an, daß die Fahne gerissen wäre. Als sie bereits zum Greifen herunter war, kam sie den Männern absichtlich wieder aus und schnellte zurück zu den Drähten. Alles lachte auf der Brücke. Die Fahne wurde nochmals angebohrt und nun gelang es, sie herunter zu bekommen. Abends kamen die Gendarmen zu Marxrieser und behaupteten, daß im Gasthaus verbotene Radiosendungen angehört wurden. In der Nacht wurden überall Hakenkreuze gestreut. Am Morgen des 25. Dezember kamen die Gendarmen wieder mit aufgepflanztem Bajonett zu Marxriesers Bett und verlangten, daß er mit einer Putzschar die Haken¬ kreuze entferne. Marxrieser aber ging nicht mit und die Gendarmen mußten andere Nazi zu dieser Arbeit bringen. Am 30. Dezember wurde Marxrieser zur Einvernahme auf die Gemeinde geladen. Er sollte dem Gastwirt Daucher und dem Kaufmann Kargl Flugblätter zugeschickt haben, wußte aber nichts von dieser Angelegenheit. Auch wurde angezeigt, daß Frau Mitteregger sich für die Silvesterfeier eigens ein braunes Kleid machen ließ. Zur Feier der Jahreswende hatte der Ortsgruppenleiter Marxrieser alle Parteimit¬ glieder in sein Gasthaus geladen. Als dies bekannt wurde, verlangten die „Vaterländi¬ schen“ bei der Gendarmerie, beim HW.=Kommando und der Bezirkshauptmannschaft, 71

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