Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1939

299 Handlung vor, es gab keinen Geschädigten. Es ist das gute Recht eines Artisten, dessen ganzer Ruhm in seiner Darbietung beruht, das der Leistung zugrunde liegende Geheimnis zu wahren. Auch weigerte er sich mit dem Hinweis auf den unersetzlich hohen Wert des Glases, es je einem anderen Menschen zu geben. „In jeder anderen Hand würde es zu Staub zerfallen!“ sagte er bedeutungs¬ voll. „Dieses Kunstwerk ist einem alten Glasbläser nur einmal, wenige Tage vor seinem Tode, gelungen.“ Zärtlich strich er dann wohl über den kleinen, besonders für das Glas gebauten Koffer, den er immer und überall mit sich umhertrug. „Ich kann es Ihnen nicht erklären. Da drinnen steckt mein ganzes Schicksal!“ fügte er noch hinzu. Wie recht er damit hatte, zeigte sich wenige Wochen später bei seinem Gastspiel in Neuyork. Er war vom „Roxi“ verpflichtet worden. Dort sah ihn der Millionär Parker. Nach der Vorstellung bot der Amerikaner hunderttausend Dollar für das Glas und die Enthüllung des damit verbundenen Geheimnisses. Minotti schüttelte den Kopf. „Zweihunderttausend!“ „Würden Sie für zweihunderttausend Dollar Ihr Leben verkaufen, Mister Parker? Und den Tod eintauschen? „Würden Sie dann morgen abend auf einer Gesellschaft in meinem Hause die Sache vorführen? Das Honorar bestimmen Sie, bitte, selbst.“ „Ich habe bisher immer Privatvorführungen abgelehnt.“ Parker versicherte Minotti, daß er für seine Darbietung einen völlig abge¬ sperrten Teil des Saales in seinem Hause erhalten werde. „Sie lassen sich eine Laune hunderttausend Dollar kosten? Gut. Wenn Ihnen diese Summe für mein einmaliges Auftreten nicht zu groß ist, so hinterlegen Sie im Direktionsbüro einen Scheck — zugunsten meines Heimatortes.“ Er nannte die kleine Stadt im Erzgebirgischen. „Sehen Sie, dort leben fast nur Glasbläser. Was Sie, Mister Parker, vielleicht zum Frühstück ausgeben, dient dort einer ganzen Familie für eine Woche schweren Lebens. Für meine Heimatstadt trete ich bei Ihnen auf. Am nächsten Abend erschien Minotti im Hause Parkers. Die reichsten Menschen Neuyorks saßen im Raum vor diesem kleinen deutschen Artisten. Jeder hoffte, aus dieser Entfernung den „Trick“ enträtseln zu können. Parker hatte einen großen das Licht grellte auf, das Glas funkelte, und wie Scheinwerfer kommen lassen — aus Nebel entstand im Nu die blaue Gestalt der Tänzerin. Sie drehte sich unter dem Kristall im Kreise und dann sang sie die Pagenarie zur Begleitung des von Parker verpflichteten Streichorchesters. Knapp vor dem Ende der Vorführung setzte für eine Minute der Scheinwerfer aus. Im gleichen Augenblick erstarb der Sopran¬ ton der Sängerin. Das Halbdunkel benutzte Parker, um aus der Tür zu schlüpfen. Der Millionär erwartete den verstört abtretenden Künstler hinter dem Paravent. Minotti kam mit eiligen Schritten. Seine beiden Hände umklammerten wie in Angst das zarte Gehäuse der kleinen Künstlerin. Der Artist versuchte ein krampf¬ haftes Lächeln. —“ , sagte er bitter, „weshalb ich gegen Privatvorstellungen „Sehen Sie nun etwas habe? Irgend etwas geht immer verkehrt. Sie ahnen nicht, welchen Schmerz Sie mir bereitet haben.“ „Reden wir vernünftig!“ schnitt Parker ihm das Wort ab. „Sie sind in meinem Hause, Herr Minotti, und in meiner Gewalt! Rücken Sie jetzt das Zauberglas her¬ ich will sehen, was mit dem Spielzeug los ist.“ aus Minotti ließ seinen Gegner nicht aus den Augen. „Ich stehe wie jeder Mensch in Amerika unter dem Schutz der Polizei, Mister Parker. Was Sie wollen, ist ein Verbrechen! Dieses Wunder ist nicht verkäuflich. Man kann sein Herz nicht verkaufen. Sie müssen mir recht geben ... „Verbrechen!“ sagte Parker verächtlich. „Ich habe Geld genug, jeden Skandal zu übertünchen.“ „Nein!“ schrie Minotti. „Sie wissen nicht, was Sie tun, Mister Parker! Sie begehen — einen — Mord

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