297 des Elblands, den Riesen Ramasch, zog ihn mit unbändiger, mit der Wut ge¬ wachsener Kraft an sich heran und drohte ihm mit erhobener Faust: „Den Schädel schlag ich dir ein, du Hund, du Verräter! Was hast du jetzt davon, he! Hast du denn keine Heimat, keinen Fleck Erde, wohin es dich zieht, der dir heilig ist, du ... Für eine Kugel bist du zu schade, verscharren muß man solch elende Kerle!“ Sebald, ein Kumpel aus dem schwarzen Revier, riß ihn zurück und bewahrte denVerräter vor dem billigen Ende. Ramasch war ins Freie geflüchtet und stierte gedankenlos hinaus in die un¬ endliche Ferne. Drinnen, in der Blockhütte, saßen deutsche Männer, Soldaten bei¬ sammen und sprachen über den Schuft. „Aufhängen müßte man ihn!“ meinte Kriskat, der kräftig war wie ein Bär und stolz auf seine zwei Buben, deren Bild er vor den Russen gerettet hatte. „Nein, nein“, sagte Sebald, „das hat keinen Zweck. Die Russen hängen dann uns. Ist das denn Strafe? Ist der schnelle Tod denn Strafe genug für einen Verräter? Nimmt nicht der Tod die Strafe vorweg? Nein, sage ich, verachten müssen wir ihn. Uebersehen, kein Wort mit ihm sprechen, ihn lebendig begraben, dasist die gerechte Strafe für solche Verräter!" „Ja, das ist härter als der Tod!“ sprach Krispin. „Schlagt ein, Kameraden, keiner spricht mehr ein Wort mit dem Verräter! Strafe muß es für ihn sein, mit uns essen zu dürfen, bei uns wohnen und schlafenzu müssen und ausgeschlossen zu sein aus unserer Gemeinschaft.“ Und alle schlugenin Krispins Rechte. Vierzehn Tage waren vergangen. Ramasch saß mit am Tisch, aß aus der gemeinsamen Schüssel, lag neben den Kameraden ging mit ihnen hinaus aufdie Straße, aber keiner sprach eine Silbe mit ihm. War abends eine Unterhaltungin Gang und Ramasch wollte auch ein Wort sagen, schwiegen die Männer, schauten sich in die Augen und legten sich schlafen. Noch trotzte Ramasch. Hielt seine Kleidung peinlichst sauber, bürstete Haare und Bart, seinen Stolz, wusch sich am Morgen. Aber bald ließ er sich gehen, der Bart wuchs wirr wie Unkraut, seine Kleidung verkam. Sein Blick nahm einen merk¬ würdigen, gereizten Ausdruck an, seine Wangen schienen blasser als sonst. Eines Tages, als das Gespräch wieder auf einen Fluchtversuch kam, packte ihn unbändige, lange geballte, gesammelte Wut. Er schrie und tobte, hieb auf den hölzernen Tisch: „Kameraden, ich mache mit, ich fliehe mit euch. Macht mich nicht verrückt mit eurem Schweigen, ich halte es nicht mehr aus. Mit offenem Munde starrte er die Gesichter an. Aber eisiges Schweigen glotzte ihnan. Man sprach in seiner Anwesenheit nicht mehr von der Flucht. Ramasch ver¬ zweifelte fast. Eines Morgens blieb Krispin in der Hütte zurück. Er hatte einen offenen Fuß und humpelte auf Stöcken umher. Ramasch glaubte, die gute Stunde nützen zu können: „Krispin“ bettelte er, „red' schon ein Wort. Ein einziges Wort nur. Nenn mich Verräter, Schuft, aber sprich wenigstens mit mir! Sprich, bitte, mach mit mir, wwas du willst Aber Krispin schwieg, sah und hörte ihn nicht. Bald darauf machte sich Ramasch an Sebald heran. Es war Nacht. Ramasch lag lauernd auf seiner Pritsche, horchte dem Atem der Männer und schlich sich an das Lager Sebalds heran: „Sebald“, flüsterte er, „Sebald, so hör' doch, ich flehe dich an, ich bitte dich, sprich nur ein Wort. Eines nur, verzeih mir!“ Aber Sebald biß dieZähne zusammen und schwieg. Ramasch wurde von Tag zu Tag unsicherer und verwirrter. Sein Ausdruck warapathisch geworden, seine Hände zitterten. Einmal brachte er ein Mäuslein mit heim, betreute es, fütterte es aus seinem knappen Brote und sprach mit ihm. Die Maus spitzte die Ohren, starr und eindring¬ lich blickten die flinken Augen auf Ramasch. So, als wollten sie sagen: Du, was hast du getan, warum brauchst du mich, warum nimmst du mir meine Freiheit, hast du denn keine Kameraden ...
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